Ein Vater und sein Sohn joggen in Richtung Wald. Der Jugendliche wirkt unbeholfen, aber er gibt sich Mühe. Heute das gleiche Bild: Vater und Sohn, diesmal auf dem Rad. Reiss dich zusammen, höre ich die Erzieher mahnen. Recht so! In dieser Krise reissen alle sich zusammen. Also auch du! Allerdings gibt es Menschen, die ihr Bestes geben, seitdem sie denken können. Und zwar bei wechselndem Erfolg. Überlege dir, man verlangt von ihnen, sie sollten sich gefälligst zusammenreissen. Ein Friedensvertrag wäre notwendig, verordnet dank Notrecht wie alles Andere. Damit ein ganzes Volk nicht überkocht. Leider gibt es keine Exekutive dafür.
Der Friedensvertrag müsste unter den Menschen zustande kommen, die eng zusammenleben, denn es kann gut sein, dass sie sich gegenseitig zu erniedrigen versuchen.
Als schnappten sie nach Luft.
Das wäre ein normales, anthropologisches Verhalten. Auch sehe ich Eltern unter diesem Druck ihre Brut überstürzt nacherziehen. Das kommt selten gut heraus. Ich habe Zweifel, ob wir eine Elterngeneration sind, die genau Bescheid weiss, was Sache ist.
Irgendwie liegt uns das nicht. Aus guten Gründen.
Die Sorge jedenfalls gilt häuslicher Gewalt. Erst rückt man familiär zusammen, mit dem hehren Vorsatz, dass man an einem Strick ziehen möge. Aber wie? Soll es mehr Anspannung sein? Joggen, früh aufstehen, einen Tagesplan befolgen, Diät halten? Und dass man sich dazu aufscheucht? Täglich? Oder soll es mehr Entspannung sein, Rücksichtnahme, Verständnis? An einem Strick ziehen bedeutet, dass ich in Zeiten von Corona die Lebensart geteilt sehen möchte, die für mich überlebenswichtig ist. Damit ist die Auseinandersetzung vorgezeichnet. Es gibt Menschen, Feinfühlige, Hellhörige, Angsterfüllte, die in dieser Lage zu Kompromissen schlicht ausserstande sind. Entspannte wie Nervöse, die zusammenleben, beschwören eine Normalität, von der der andere abweicht. Meistens greifen sie diese Mehrheit aus der Luft, ohne dass sie über Daten verfügten. Sie berufen sich auf den gesunden Menschenverstand, aber der kommt doch nur wie ein bunter Hund daher.
Beide übersehen, dass sie nur am Überleben sind.
Ich persönlich finde, wir sollten uns vorsätzlich entspannen. Die Dinge willentlich schleifen lassen.
Das ist mein persönlicher Aufruf. Wem es gelingt, der möge es tun. Das wäre jedoch kaum einzufordern. Vor allem verstärkten wir die Ängste anderer, denn wir kämen ihnen nachlässig vor. Wie bitte schön sollte ein Friedensvertrag möglich sein, wenn Feinfühlige und Ängstliche nur unter Panik und Albdruck von ihrer Lebensart abrücken? Wer sein Leben trotz Corona geniesst, stellt für sie eine Zumutung dar. Es gibt Menschen, die Wut empfinden und auch Hass, da ihnen dieser Genuss aus täglicher Erschöpfung oftmals versagt bleibt.
Die Grundlage für einen Friedensvertrag lässt sich handlich umreissen: Wer kaum Angst empfindet, muss in Rechnung stellen, dass er bisher vor schlimmsten Erfahrungen verschont geblieben ist. Und zwar nicht kraft seiner persönlichen Souveränität, sondern schlicht und ergreifend aus Zufall. Den Besorgten und Ängstlichen unter uns sollte klar sein, dass auch sie nur zufällig in die Erfahrungen geraten sind, die ihnen so zusetzen. Was kann ein syrisches Flüchtlingskind dafür, dass in seinem Land ein Krieg um eine mögliche Erdgasleitung tobt, die durch sein Land führen soll? Was kann ein Hochsensibler dafür, dass seine Gedanken an Eindrücken festkleben, die ihn ungefiltert befallen?
Und eben diese Zufälligkeit verbietet es, dass man seine Lebensart überhaupt anderen verordnet. In Notlagen ohnehin nicht.
Der Vertrag kommt also nur dadurch zustande, dass grobfühlige Geniesser einsehen, wie sehr ihre spielerische Biegsamkeit nun gefordert ist.
Und Kindern gegenüber, die laut NZZ ganz besonders häuslicher Gewalt zum Opfer fallen werden, gilt am meisten Anpassungsfähigkeit. Von uns geleistet. Das Mittel ist leicht zu haben:
Nämlich Vertrauen. Im Vorschuss.
Und zwar bedingungslos. Das heisst à fond perdu.
Und jederzeit. Aus Notrecht.
Denn der wichtigste Akteur im Reifeprozess von jungen Menschen sind weder Lernziele, noch Leistungsziele, noch Richtziele, schon gar nicht deren Überprüfung, die im Durchschnitt sowieso auf 4.8 gesetzt wird, damit der Test bildungspolitisch glaubhaft erscheint, auch keine Stoffpläne, keine Strategien zur Optimierung, keine Meilensteine im persönlichen Werdegang, kein Fitnessprogramm im Hausarrest, keine überstürzte Nacherziehung.
Dieser wichtigste Akteur ist die Natur selbst.
Die Milch, die sie benötigt, heisst Vertrauen. Vertrauen ist tätig. Es macht den jungen Menschen vertrauenswürdig.
Und genau das nährt ihn.
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