Friedhofstille beim Einkaufen. Es misslingt mir, lässig zu bleiben. Die Begegnungen verlaufen verkorkst. Eine sonderbare Art Ping-Pong spielt sich ab. Wichtiger als sonst ist der Blick.
Nun fahre ich auch über Land, den öffentlichen Verkehr zu meiden. An engen Stellen der Feldwege, wenn ich Autos kreuze oder Fussgänger, habe ich den Eindruck, als suchten wir eher den Blick des andern als vor der Krise. Bei mir stelle ich zudem das Bedürfnis fest, dass ich mich in aller Klarheit zu erkennen gebe. Ich beuge mich sogar etwas vor, damit ich meinen Blick darbiete. Sieh, ich bin der und der. Und ich führe nichts im Schilde. Gegen dich schon gar nicht. Mir scheint, das Angebot wird auch schlagartig wahrgenommen.
Auch beim Einkauf. Der Blick stellt die Dinge klar. Ich weiss, dass du weisst, dass ich weiss. So wird die Grundlage gelegt, damit wir einander ausweichen, ohne uns zu irritieren. Ich weiss, dass du von der Krise betroffen bist wie ich. Dass du Informationen sammelst und deine Meinung danach ausrichtest. Das kann sich täglich ändern. Gewissheit ist für niemanden zu haben.
Und ich weiss, dass du eben das von mir weisst.
Bei Unklarheit hebt dieses Ping-Pong an, ob wir den vorgeschriebenen Abstand buchstäblich einhalten oder bloss annähernd. Sprich grosszügig. Willst du zu denen gehören, die gelassen bleiben oder zu jenen, die es lieber übertreiben? Und wie sieht das die Person, die deinen Weg kreuzt? Das lässt sich nur in einem gemeinsamen Vor- und Zurück ausloten, das kaum wahrnehmbar ist. Es ist eher ein Hampeln aus angespannter Bereitschaft.
Ich vermute, die Schwierigkeit rührt auch von daher, dass es uns schwerfällt, andere zu beleidigen. Denn das täten wir mit unserem Ausweichen, wenn keine Krise herrschte. Ich komme um ein Regal geschlurft, jemand erschrickt leicht und tritt einen Schritt zurück oder zur Seite. Natürlich gibt es nichts Persönliches daran, dieses Benehmen versteht sich als Pflichtübung. Auf staatliche Anordnung. Dennoch bleibt etwas Peinliches daran haften.
Was den Blick anbetrifft, so merke ich, dass man sich schon immer so hätte begegnen können. Auch unabhängig einer Krise dieser Art. Die Grundlage, die hier gelegt würde, wäre ein gemeinsames Bewusstsein über das Menschliche an und für sich, das wir teilen: Ich weiss, dass du weisst, dass ich weiss. Zum Beispiel dass du Eltern hast, über die du dir schon Gedanken gemacht hast. Dass du auch schon nach dem Sinn vom allem gefragt hast, besonders nach der Rolle, die dein ganz bestimmtes Leben darin spielt. Dass du ein Geschlecht hast, das dein Leben beeinflusst. Dass du Wünsche hast und gelegentlich Sehnsüchte hegst. Dass du schon Hilfe benötigt hast.
Dass du vielleicht, wie ich, abends oder morgens auf dem Bettrand sitzt und an dein Sterben denkst.
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