Der erste Blick ist unschuldig. Daran halte ich fest. Und mir fallen noch weitere Köstlichkeiten dazu ein. Es heisst immer, Lehrkräfte seien besonders ausgestellt. Mag sein. Was wir hingegen mitbekommen, kann man die Intimität einer Schulklasse nennen. Das gibt es tatsächlich. Gerade, wenn es um Blicke geht.
An einem Montag Morgen sah ich in die zerknautschten Gesichter von Jugendlichen. Übermüdet vom Wochenende und misslaunig blickten sie vor sich. Zum Start lachte ich sie deshalb aus, indem ich besonders kindisch tat und mit dem gestreckten Finger auf sie zeigte. Und alle Blicke hoben sich zugleich, erfreut über den persönlich gefärbten Aufheller. Die Begeisterung währte aber nur kurz. Als ich mich anschickte, zur Tagesordnung überzugehen, senkten sich die Blicke, wieder schlagartig und wieder alle im selben Moment.
Ein anderes Mal musste ich eine Klasse, die gerne Ehrgeiz bewies, darüber in Kenntnis setzen, dass sich ihre Berufsmaturitätsarbeit punkto Zeitplan und Engagement in Schieflage befände. Auch hier hoben sich zeitgleich die Augen. Und ich gewärtigte in allen Bankreihen den genau gleichen besorgten Blick, der die Angst zum Ausdruck brachte, doch bitte nicht einer Klasse anzugehören, bei der diese Aufgabe im Vergleich zu anderen Jahrgängen misslingen könnte. In diesem Moment hatte ich keine verschiedenen Persönlichkeiten vor mir, sondern eine Gruppe von Menschen, die sich für einen Augenblick so deutlich gleichschaltete, wie es mit keiner Uniform zu erreichen wäre.
Und ich könnte schwören, die Augen waren persönlich, versteht sich, aber der Blick bei allen haargenau der gleiche.
Auch hier bekamen die Jugendlichen davon nichts mit, sie sahen die anderen Gesichter ja nicht. Ich schon. Bei dem sonst für alle sichtbar war, ob die Hosen Flecken haben oder der Schlitz nur halbverschlossen ist oder das Hemd schweissfleckig in den Achseln. Oder ob ein Speichelfaden die Lippen wie eine flüchtige Tropfsteinsäule miteinander verbindet. Einmal merkte ich, dass mein Gürtel aus der Schlaufe gerutscht war und nun genau mittig an mir baumelte wie ein sonderbares Gemächt. Hier ist anzumerken, dass das Leder besonders lange war, da ich es zugleich als Trophäe meiner Ayurveda Kur an mir trug, denn es wies elf Löcher aus. Ich nestelte daran herum, die Sache zu richten, indem ich weiterredete, ohne mich abzuwenden, denn Solches war ja auch schon vorgekommen.
Und erneut sanken die Blicke auf Anhieb tiefer. Ausnahmslos alle.
Weibliche wie männliche.
So wunderbar schlüpfrig ist das Leben.
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