Beten ist Privatsache. In der Öffentlichkeit sieht man Betende höchstens verkrümelt in der Ecke einer Kirche. Bei Anstieg der Fallzahlen in der Corona-Krise verbreitete sich hingegen in Kaufläden eine kirchliche Stimmung. Überhaupt bringt die Modernisierung Momente einer neuen Andacht, die sogar unfreiwillig auf sich genommen wird.
Katholische Gläubige nehmen keinen Kontakt zueinander auf, wenn sie kleine Kerzen entzünden und die Münzen einwerfen, wenn sie anstehen und das Abendmahl, den Segen oder ein paar Tropfen Weihwasser entgegennehmen. Auch Juden an der Klagemauer verrichten alle ihr Gebet, ohne in Plaudereien mit anderen zu verfallen. Dasselbe, wenn Muslime zu Gott reden.
In neusten Tagen verbreitet sich nebst Corona-Einkäufen eine ähnliche Stimmung, wenn Personen vor Löchern an Containern anstehen, ihr Altglas, Petflaschen, Batterien und so fort einzuwerfen. Die Tätigkeiten werden stumm verrichtet. Es herrscht eine Ernsthaftigkeit, die mich unweigerlich an kirchliche Andachten erinnert.
Dieselbe Atmosphäre kommt auf, wenn das Personal sich abwendet, damit der Kunde sein Passwort eintippen kann. Ihre Untätigkeit wirkt dann wie auf religiösen Empfang gestellt.
Das Wunderbarste aber lässt sich in jenen Fitnessstudios erleben, die anweisen, dass man nach soundsoviel Stössen ein paar Momente am Gerät pausieren soll. Die Bulligen unter den Kunden, die gerne mit Knopf im Ohr an gewissen Türen stehen, erwecken dann den Eindruck, sie wären auf einmal den Grundfragen des Lebens preisgegeben und damit einer Verletztlichkeit, bei denen sie zu ahnen scheinen, dass sie sich nicht einfach so wegdrücken lässt: Wer bin ich eigentlich? Wann sterbe ich und wie? Was für einen Sinn erfüllt mein Leben?
Wie sie so untätig dasitzen und vor sich hin blicken, erinnern sie an die Urmenschen am Beginn kultureller Evolution in Kubrick`s «2001», als ihnen der kosmische Quader einfällt.
Und ihr Verstand zum Leben erweckt wird.
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