Krieg ist die Hölle auf Erden, Frieden befreit davon. Doch ihm haftet eine Tragik an, für die es scheinbar keine Lösung gibt. Die leider zu erneutem Konflikt führt, je länger er andauert. Aber Frieden verhüten kann niemand wollen.
Unmittelbar nach kriegerischen Katastrophen herrscht eine Besonnenheit, die Ausgleich schafft: 1648 das erste Völkerrecht, 1945 die Soziale Marktwirtschaft, die Vereinten Nationen und die Finanzordnung von Bretton Woods. Kriege führen uns die bedürftige Natürlichkeit aller vor Augen, ganz besonders die des Gegners. Das Leiden wird zu einer Gemeinsamkeit, die über Fronten hinaus deutlich wird. Unter diesen Umständen ist auch Nachsicht garantiert: In Trümmern werden selbst schwule und lesbische Zweisamkeit geduldet. Kraut und Rüben leben zusammen, denn ganze Familien, ganze Verwandtschaften sind ausgelöscht. Die Menschen leiden Hunger und Einsamkeit.

Dann kommt der Frieden, und man geht seiner Wege. Dank dessen, dass Versorgung und Sicherheit gewährleistet sind, pflegt man seine Eigenart, seine besondere Zugehörigkeit: Traditionen, religiöse und politische Bekenntnisse. Freizügigkeit sorgt für Vermischung, überhaupt die Grundrechte, die zunehmend global verbürgt sind. Dem Papier nach zumindest.

Es bilden sich Zellen aus. Alles in Allem eine Individualisierung, die wir unbedingt als Fortschritt erachten, auch wenn sie dazu führt, dass man sich einander entfremdet.

Die Einsicht in die gemeinsame Natürlichkeit verblasst mit der Erinnerung an den Krieg.

Generationen ziehen ins Land, die Zellen verfestigen sich. Ihre anfängliche Porösität wird halbdurchlässig und verschliesst sich immer mehr, da die Vermischung manche Menschen ängstigt. Irgendwann erscheint es als Zumutung, dass andere Gruppierungen Frieden und Wohlstand zu ihrer Entfaltung nutzen. Es kommt zu ideologischen Kämpfen. Vielleicht ist Ghettoisierung ein Grundtyop auch des Friedens, aber das wäre polemisch gesprochen. Die vorzügliche Lage des Friedens braucht nur leicht zu bröckeln, wie es oft geschieht, ein Hauch von Infragestellung des Wohlstandes, und schon regt sich Hass.

Die bekannte Formel von Clausewitz, Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, wurde von Michel Foucault umgestellt: Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Nun ersetze man “Politik” mit “Frieden”. Daher:

Frieden führt zu Hass, Krieg baut ihn ab.

Alfred Andersch zeigt in «Sansibar oder Der letzte Grund» in wunderbarer Weise auf, was bei dieser Tragik vorzuschlagen wäre. Die Figuren, die ihre gemeinsame Flucht organisieren, würden in Friedenszeiten keinesfalls zusammenarbeiten. Der junge Sozialist würde die feine Tochter aus bürgerlichem Hause verachten, statt ihr aus ihrer misslichen Lage zu helfen, der Pfarrer um keinen Preis den kommunistischen Fischer um Hilfe bitten. Und für die Tochter selbst käme es niemals in Frage, dass sie sich in Kneipen von Matrosen anmachen lässt.

Die Figuren verzichten unter Lebensgefahr auf ihre Ideologie, die ihnen in Friedenszeiten so sehr am Herzen liegt. Davon lässt sich eine handliche Regel ableiten, die jedoch etwas Vorstellungskraft erfordert, was in Umständen des Friedens mühselig ist, in tödlicher Gefahr aber schlagartig vor Augen steht:

Sei dir der Möglichkeit bewusst, dass du auf die Überzeugung, die du so bissig verteidigst, unter Umständen des Krieges verzichten würdest. Zugunsten anderer, die wie du in Not sind.

Das sollte dir jetzt zu denken geben, denn dadurch wird dein Anliegen in seiner Gültigkeit sinnvoll beschränkt. Es muss deine Härte gegenüber anderen auch im Frieden notwendig aufweichen.