Sind die denn krank im Kopf, die Gewalt in Filmen geniessen oder echte Brutalität, wie sie im Netz kursiert, seitdem überall Kameras rasch gezückt oder zur Sicherheit angebracht sind? Wie üblich schön nach Rubriken geordnet gibt es da Erstochene zu sehen, Erhängte, Verbrannte, Vergewaltigte, Gelynchte, vom Strassenverkehr Zermanschte. Oder findet sich vielleicht ein sinnvolles Verständnis für den Konsum dieser abscheulichen Art?
Ohne es gutzuheissen, lässt sich immerhin nachvollziehen, wenn jemand Opfer von Gewalt aus Lust betrachtet oder aus Rache oder zu sonstiger Genugtuung. Für Fälle dieser Art gibt es Untersuchungen zuhauf. Kaum jemand kümmert sich hingegen um Personen, die höchst verträglich im Umgang sind und pflichtbewusst ihr Leben meistern, ohne die Faust im Sack zu ballen. Sie führen sich aber hin und wieder Bilder und Filme von Tod und Gewalt zu Gemüte, vielleicht aus blosser Neugierde oder aus sonstigen Beweggründen.
Neugierde mag schon krankhaft anmuten, aber es heisst doch, der Mensch sei ein schweifendes Tier.
Das Urteil, diese Personen seien allesamt krank im Kopf, ist mir zu leicht zur Hand. Es vermittelt weniger eine Tatsache über Gewaltkonsumenten, als es eher die Person, die so urteilt, in ihrer Bedürftigkeit spiegelt, nämlich dass sie in dieser Sache ganz dringend Klarheit nötig hat. Am besten, indem sie davon Abstand nimmt. Das heisst vorzugsweise dann, wenn sie selbst Gewalt erlitten hat.
Wie so oft sind Urteile, die derart moralisieren, nur eine Frage intimer Ökonomie.
Auch lässt sich schwierig das weltweite Publikum eines Quentin Tarantino oder sonstiger Ästheten der Gewalt als Hirnkranke abfertigen. Gesucht ist eine begründete Zustimmung zu Personen mit dieser Neigung. In genannten Rubriken im Netz finden sich sogar gefilmte Tode. Da ging mir eine Möglichkeit auf, wie man die Sache im Sinne eines radikalen Humanismus zu fassen bekäme:
Die Konsumenten, die ich hier bespreche, eignen sich behelfsmässig Erfahrungen an, die uns die moderne Gesellschaft vorenthält.
Und dass sie das tut, dürfte niemand ernsthaft in Frage stellen. Aber Gewalt und Tod sind Erfahrungen, die wesentlich zum Leben gehören. Wenn man die Wege nachzeichnet, die Menschenvölker bis heute gegangen sind, Enzensberger vergleicht ihre Dynamik mit einer Wetterkarte, wenn man sich die vielen Verzweigungen und Kreuzungen vor Augen führt, die flüchtigen Bündnisse und Feindschaften, so wird deutlich, dass aggressive Menschen unter uns heute zwar unnütz geworden sein mögen und für krankhaft gelten, damals aber zum Schutz eines verletzlichen Gemeinwesens sehr wohl gebraucht und gelobt waren in ihrer brutal zupackenden Art.
Hitzköpfe, die im Angriff Schutz boten für viele ihres Stammes. Menschen, die Macchiavelli herbeiwünschte, als er von Schergen der Medicis gefoltert wurde, damit sie ihrem Treiben mit rohen Streichen ein Ende bereiten. Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung servierten die vedischen Stämme ihren Göttern Soma in Hülle und Fülle, damit sie ihre, in Tälern Nordindiens ansässigen Feinde zerschmettern, in die sie von Iran und Afghanistan her kommend eindrangen. Heute findet sich ihr Wissen, das Ayurveda, in friedfertigen Reformhäusern wieder. Die Grimassen der Maori mögen Touristen ergötzen, sie gehen zweifelsohne auf echte Vorfälle zurück, wo man bereit zu sein hatte und geübt darin, das wilde Benehmen in die Tat umzusetzen. Auch in biblischen Psalmen wird die Gewalt angerufen, die sich gnadenlos gegen den Feind richten soll.
Nicht auszudenken, diese nützlichen Rohlinge würden auf einmal von Mitleid befallen. Oder sie wären plötzlich irritiert darüber, wie ein Mensch in ihren Händen erstickt oder es würde ihnen schlecht beim Anblick von Blut.
Von daher gesehen erklärt sich die Brutalität von Einweihungsriten für junge Männer. Es ist einfach zu kurz gegriffen, wenn man diesen Vorgängen nur Machogehabe und Patriarchat unterstellt. Wer für alle töten muss, soll darauf vorbereitet sein. Jedes menschliche Gemeinwesen trägt den Zerreisspunkt in sich, an dem es gewisse Kräfte zu Tod und Gewalt abberuft. Die Schweizer Armee schulte mich darin, auch wenn nur vom Wirken die Rede war statt vom Töten. Immerhin gefiel mir die Erde, die aufspritzte, wenn man die Schüsse tief setzte, oder wenn krepierende Handgranaten Wasserfontänen hochrissen und sie in schweren Tropfen aus voller Höhe auf uns herabregnen liessen.
Gewalt und Tod waren auf den Wegen aller Völker echte und alltägliche Ereignisse und sie sind es bei uns nicht mehr. Aber es würde mich nicht wundern, wenn die Erinnerung an die Alltäglichkeit von Gewalt und Tod nun als Neugierde nach der Echtheit von Augenblicken dieser Finsternis unter uns fortbesteht.
Meinetwegen als ein Trieb kollektiven Wissens, mit Bedarf nach einer Art Übung. Was dann keinesfalls persönlich zu nehmen wäre.
Diese Schlussfolgerung ist an Aggressive unter uns adressiert oder an Gewaltlüsterne, die nun anstossen dürfen. Sie werden im Moment nicht gebraucht.
Zumindest nicht mehr.
Oder noch nicht?
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