Immer mehr Mütter lassen sich ihr Kind herausschneiden. So ersparen sie sich die Mühen natürlichen Gebärens. Vieles spricht dafür wie dagegen, Medizinisches, Wirtschaftliches, Gesundheitspolitisches. Mich interessieren hier moralische Bedenken, die dann auftreten, wenn ein Kaiserschnitt bei voller Gesundheit und auf Bestellung am vereinbarten Termin erfolgt.
Offenbar besteht die Überzeugung, es wäre einer gesunden Gesellschaft abträglich, wenn man sich diese Erleichterung gönnt. Als würde der Geburtsschmerz die Frau auf den richtigen Punkt bringen, was so etwas wäre wie natürlich geprüfte Mutterschaft.
Aber was habe ich als Mann überhaupt in dieser Angelegenheit zu vermelden? Wenn die Wohlfahrt aller auf dem Spiel steht, geht es folgerichtig alle an. Wie aber soll ich einer Frau Strapazen abverlangen, die mir den Rücken zerrissen? Der Körper öffnet sich ungewohnt weit, er läuft aus, Krämpfe drücken gegen ein Tor, das so zäh und träge nachgibt, wie eine Sonne sich allmählich aus dem Horizont löst. So steckst du in der Situation fest, wie das Kind im Kanal. Und diese Situation verlangt, obgleich schmerzhaft, deine ganze Achtung in einer Selbstlosigkeit, von der wir Männer schlicht keinen Begriff haben.
Dennoch finden sich gewiss Männer genug, die Kaiserschnitten auf Bestellung mit Argwohn begegnen. Evangelikale, kirchliche Würdenträger, ökologische Fundamentalisten. Leider sind mir ihre Argumente unbekannt. Vielleicht hüten sie sich, sie zu äussern. Doch bei moralischem Skrupel geht es oft darum, dass der menschliche Eingriff zu weit geht. Befürchtet wird eine Art sozialer Verrohung, wenn die Dinge einfach verfügbar sind und machbar mit kurzen, geübten Schnitten.
Zur Zeit hören wir auf diese Bedenken, wenn es um das Klonen geht, um Vivisektion oder um aktive Sterbehilfe. Beim Strassenbau oder beim Roden von Wäldern findet sich niemand mehr, der diesen Eingriff ablehnt, da er die allgemeine Wohlfahrt verkommen liesse. Aber diese Skrupel gab’s auch da, und es ist unerheblich, wie lange das her ist.
Wenn es verwerflich sein soll, dass man sich in leidvollen Grenzmomenten Erleichterung gönnt, wie moralisch zart gestimmte Kritiker einwenden, so müssen sie notwendig ablehnen, dass Palliativmediziner Morphium spritzen, damit ein echtes, natürlich geprüftes Sterben möglich sei. Selbst Quäker oder Amische, sofern sie Kaiserschnitte auf Bestellung ablehnen, und das ist anzunehmen, müssten sogar ihre Gäule aus den Kutschen spannen, damit das natürlich geprüfte Leben möglich wird.
Die Moral menschlicher Eingriffe ist eine Frage der Gewohnheit, mehr nicht. So plump ist das. Immer wird gemahnt, wir überschritten nun eine Grenze zuviel und büssten so den engen Kontakt zu einer Natürlichkeit ein, die uns zäh und gesund erhält.
Dabei liegt es genau an eben unserer Natürlichkeit, dass wir Eingriffe tätigen, damit wir uns Mühen ersparen, die uns dauerhaft zerreissen.
Wir malen uns höchstens aus, was Menschen früher litten, als Mütter an ihrer Steinfrucht verreckten, als man zu Zeiten europäischer Konfessionskriege die Kugeln ohne Narkose und mit unmöglichsten Zangen hinter Rippen hervorklaubte, in der falschen Annahme, das Blei vergifte den Körper. Von Goethe ist bekannt, dass er die Sterbensschreie seiner Frau nicht ertrug, die tagelang immer wieder anhoben. Wie hätte er den Einsatz modernster Schmerzmittel beurteilt?
Der ganze Werdegang der Menschheit liest sich als eine Geschichte fortwährender Erleichterung von Mühe und Leid.
Was willst du dagegen sagen? Eine schmerzfreie Gesellschaft wird es nie geben. Aber Leid, das an Marter herankommt, verhindern wir unbedingt und kraft unserer natürlichen Möglichkeiten. Nicht zuletzt auch, damit die sozialen Folgen solcher Marter unterbunden blieben. Denn Rammstein haben Recht, wenn sie singen, gefährlich sei, wer Schmerzen kennt.
Oder: «Gefährlich das gebrannte Kind.»
Auf diesem Weg der Erleichterung werden laufend Grenzen überschritten, sodass der Eingriff in Zusammenhänge geschieht, die immer subtiler werden, wie zum Beispiel das Erbgut oder früher die menschliche Psyche.
Der Eingriff aber ist immer der gleiche.
Seit Jahrtausenden.
Ist das denn nicht beruhigend?
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