Ein Frontsoldat im Ersten Weltkrieg berichtet vom Sterben seines Freundes Bob. Von dieser Zeugenschaft bin ich auf eigenartige Weise ergriffen. Zwar zwingt sie uns in Tiefenschichten des Lebens, die wir sonst meiden. Aber sie bestätigt die Ahnung, dass wir, wenn wir es tun, Versöhnung finden mit dem Leben und mit uns selbst:
Ein Granattreffer trennte Bob die Beine ab [11:00]. Nun ragten die weissen Oberschenkelknochen heraus. Der tödlich Verletzte wünschte, sein Freund möge ihm die Beine ausstrecken, die es nicht mehr gab. Also fasste dieser kurzerhand die Knochen an.
Und das tat dem Sterbenden wohl.
Ein Mensch berührt die Knochen eines anderen, der noch lebt. Eine der intimsten Berührungen, die kaum denkbar ist, bewirkt Wohlbefinden. Ekel blieb aussen vor. Wie auch. Die Soldaten schliefen auf Toten, lebten mit Ratten, von Einschlägen regnete es täglich angewestes Menschenstück herab.
Ekel mag uns als zweckmässiger Reflex angeboren sein. Nun steht er uns im Weg, dass wir diese wunderbare Klarheit hinnehmen, wie sie die Geschichte von Bob’s Knochen überliefert. In Sachen Ekel befolgen Leichenwäscher einen simplen Trick, wenn der Gestank sie überfordert:
Sie atmen mehrmals tief ein. Und der Mief verwandelt sich in eine Ahnung von Erde, sagen sie.
Wenn wir es zulassen, führt uns das Leben durch seine Tiefenschichten.
Bis in den Erdenrest in uns. Dort mag sich ein Verstehen ereignen, eine Einsicht in sich selbst, die ausgleicht.
Und erlöst.
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