Nun grabe ich ein unterirdisches Labyrinth von Hallen und Treppen. Dabei belasse ich einige Blöcke schwebend und bestücke sie mit Fackeln zur Beleuchtung. Bei dieser Tätigkeit gerate ich sehr leicht in einen Zustand, der neuerdings Flow genannt wird. Dieser Zustand zeigt auf, warum uns Süchte jeder Art Sorgen bereiten.

Die Aufgabe habe ich mir selbst gestellt, die Mittel decken sich mit meinen Fähigkeiten, wobei Unterforderung keine Rolle spielt, sie wäre sonst mörderisch. Ich grabe und grabe. Bei jedem Schlag erfahre ich die Gewissheit, dass ich das Ziel fortlaufend erreiche. Der Widerstand der Umwelt ist beinah gleich Null. Kein Schutt ist fortzuschaffen, die Steine zerbröseln sogleich zu Luft. Die Vorgaben des Spiels hat man sich rasch angeeignet. Pläne gelten kurzfristig, sie lassen sich beliebig anpassen. Nichts lenkt mich ab, ich vergesse mich selbst, während ich nach Lust und Laune meine Liedchen pfeife. Zeit spielt keine Rolle, höchstens dass sie zu rar ist.

Das nennt sich Flow. Kurz gefasst, mein Befinden und meine Tätigkeit sind purer Selbstzweck.

Aber ich löse mich schwierig daraus. Selbst jetzt, wo ich dies schreibe, fühle ich mich verlockt, ein paar Blöcke abzuschlagen. So erfahre ich an mir selbst, warum Kinder wie Verrückte an ihren Bildschirmen kleben bleiben. Was immer sie erwartet bei Beenden des Spiels, bietet keinen vergleichbaren Flow mehr.

Wir nötigen sie aus einem wunderbaren Wasser an ein Land, wo Winde wehen.

Ein Spiel wie ‘Journey’ setzt diesem Flow Grenzen. Bei Minecraft und anderen strömt er unbegrenzt weiter. Vielleicht wird aus eben diesem Grund solchen Spielen ein hoher Suchtgrad bescheinigt.

Punkto Sucht: Einst wartete ich zusammen mit einem Organisten auf den Zug. Er bekannte mir, er sei süchtig danach, Fugen von Bach zu spielen. Ich war hell entzückt, dass jemand ein höchstes Kulturgut mit Sucht in Verbindung brachte. Ob er den Ausdruck Flow benutzte, ist unwahrscheinlich. Am liebsten würde ich es ihm andichten. Hingegen malte ich mir aus, wie der Organist zufällig mit einem Heroinsüchtigen in einem Aufzug stecken bliebe. Wie sie sich erst verachten, dann aber, da beide auf den Affen kommen, also Entzug erleiden, weil Hilfe auf sich warten lässt, irgendwann in der Ecke der Kabine menschenechsenartig aneinander kleben wie zwei Gollums.

Nun gibt es tatsächlich Personen, die ihre tägliche Arbeit als Flow empfinden. Mögen sie ihre Pflichträusche ausleben. Sofern sie sich anderen überhoben fühlen, sollten sie die Möglichkeit bedenken, dass sie in Prägung und Lebensgang einfach nur Glück gehabt haben.

Flow ist ein Zustand, dem alle Menschen verfallen. Er ist naturbedingt. Sucht will daher anthropologisch verstanden sein und nicht nur psychologisch.

Sofern wir einen radikalen Humanismus wollen, und das scheint mir zunehmend geboten, so sind Verachtung und Geringschätzung fehl am Platz, wenn jemand die Mittel nutzt, die er hat, oder viel Aufhebens leistet, einfach damit er in einen Flow kommt.

Und zum Beispiel ins Minecraft geht.

So wie ich neuerdings.