Eine Moral stellt Ansprüche. Zu hohe, wie mir scheint. Der Mensch hat etwas zu läutern. Reinheit wird beschworen. Und immer ist sie schwer zu haben.

Glaube, Liebe, Hoffnung. Sei tapfer, klug, gerecht und mässig. Leicht gesagt, mühselig befolgt.

Sich aufraffen, sich zusammenreissen. Die Menschen fasten, gehen in sich, durchqueren ganze Gebirge. Sie bereuen, beichten, predigen, brechen in Tränen aus, schlagen sich auf die Brust. Früher scheuerten sie Rücken und Knie wund.

Dauernd muss etwas überwunden werden. Man beübt seinen Glauben, prüft sein Gewissen.

Modern gewendet heisst es: Übernimm Verantwortung, damit keiner dich entmündigt. Nehmen alle diese Pflicht ernst, kommt es zu keiner Diktatur, so Kant. Dazu hast du dich jedoch schlau zu machen, denn wenn du nicht weisst, wie Welt und Menschen zusammenhängen, wird deine Verantwortung idiotisch sein. Daher ist auch Bildung eine Pflicht und nicht bloss ein Recht.

Moral soll das Zusammenleben aller verbessern. Dazu taugen diese Ansätze offensichtlich nichts, denn die Leute straucheln andauernd. Schwere Schuldgefühle machen manchen Lebensabend zur Hölle.

Die Neurobiologie liefert einen Ansatz zu einer Art minimalster Moral. Denn laut Befunde dieser Wissenschaft streben wir Menschen nach nichts anderem als nach guten Gefühlen. Wir meiden Schmerz, wir suchen Lust, Freude und nicht zuletzt Anerkennung. Also sei dafür gesorgt, auf welchen Wegen auch immer.

Punktum.

Diese Moral braucht sonst weder Rechtfertigung noch weitere Argumente. Verklärung ist überflüssig, eine Dogmatisierung unnötig.