Eine Studentenverbindung marschiert im Gleichschritt vorbei. Das erinnert mich an die Zugschule. Faschos, grummelt jemand, während ich filme. Takt, Blickrichtung, Ruf, Lied, Trommel und Fahne. Eine schlimme Unfreiheit, möchte man meinen, wenn man das so sieht. Dabei bedeutet Gleichschritt Entspannung, wenn nicht gar Genuss. Aber das wissen nur die, die mitmachen.
Im Gleichschritt gibt es nichts zu entscheiden. Das ist das Glückselige daran. Der Vorgang bleibt auf das Nötigste vereinfacht. Die Situation, in der man steht, ist völlig geklärt wie selten im Leben, das buntscheckig ist, verwachsen und reich an problematischen Nuancen. Der Gleichschritt trägt dich wie im Traum quer durch ganze Landschaften. Wie früher römische oder bonapartische Truppen. Sogar Schläfrigkeit ist möglich, während der Schmerz vom Ganzen aufgesogen wird. Man meint, man habe mit dem Schmerz nichts zu tun, jedenfalls nichts Persönliches.
Wer im Gleichschritt marschiert, weiss, dass er nicht verloren geht.
Das gilt für jede Form von Gleichschaltung. Norm, Konvention, Tradition. Die schlimmste Strafe für Menschen ist ihre Isolation von anderen. Faschos, ja. Verstehen bedeutet nicht sofort entschulden: Die Gleichschaltung ab 1933 versteht sich als Erlösung, als Entspannung nach Jahren psychotischer Ängste. Das wurde mir klar, als ich planetarisch gestimmt das Stelenfeld, das Mahnmal für die ermordeten Juden in Berlin durchquerte. Die Lokalität ist ja, sinnigerweise, genau wie eine Gleichschaltung eingerichtet, als eine Art Schachbrett.
Niemand geht darin verloren.
Auch nicht das Opfer, als diente die Gleichschaltung, von der es abweichen muss, zu seiner Entblössung und Auffindung. Man könnte rund um das Feld Leute postieren, die wie beim Schiffe Versenken den Aufenthalt des Flüchtenden paarweise aufriefen: K! 15!. Dann: L! 15! Und so fort.
Aber sich darin zu bewegen, erhellt nicht nur die Lage des Opfers. Mit spielerischer Leichtigkeit bewegte ich mich im Stelenfeld. Zwei Kreuzungen nach links, eine nach rechts, dann ging ich im Geviert, holte mehrere Schritte in eine Richtung aus, bei der nächsten Kreuzung huschte ich hinüber, dann wieder nach links. Wie während der Zugschule genoss ich Gleichschaltung als Wohltat, als Nirwana.
Es war die Leichtigkeit des Täters, dem die Gleichschaltung Ängste nimmt und Orientierung gibt.
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