Im Film «Das Weisse Band» von Michael Haneke aus dem Jahr 2006 meint der Pfarrer zu seinem Sohn, er leide mehr, wenn er ihn, den Buben, züchtigen müsse. Und er tue das aus Liebe, nicht aus Hass. Was wir heute für entsetzlich rückständig halten, folgt doch einem Grundsatz in der Erziehung, der auch heute gilt.

Schreber, Steiner, Hitler, sie alle erlitten die so genannt Schwarze Erziehung am eigenen Leib, die Haneke in «Das Weisse Band» fast scherenschnittartig ins Gedächtnis ruft. Immerhin sind alle drei Genannten trotz erzieherischer Gleichbehandlung völlig verschieden herausgekommen. Dennoch stellt Haneke die These vor, die Schwarze Pädagogik könnte wesentlich dazu beigetragen haben, dass die Kinder des Kaiserreiches zur Generation strammer Nationalsozialisten heranwuchsen, die erduldetes Leid auf Schwächere abwälzte.

Schwarze Erziehung bedeutet die Verschränkung von Gewalt und Selbstbesinnung. Eine Mischung aus Barbarei und Frömmigkeit, indem das fehlbare Kind eine Uhrzeit anbefohlen bekam, an der es mit gepflegter Gerte beim Herrn Vater sich einzufinden hatte, damit es die vorweg auf sein Vergehen abgestimmte Anzahl Schläge unter Zeugenschaft der gesamten Familie empfing. Bis dahin blieb Zeit für Reue und Selbstvorwürfe, aber das änderte nichts am kommenden Unheil.

Was aber soll das Ganze mit Liebe zu tun haben? Dieses ausgeklügelte, körperlich wie seelisch brutale Erziehungsprozedere? Dass der Pfarrer beides in einem Atemzug nennt, erscheint uns nachgerade pervers.

Vielleicht sollten wir seine Aussage einfach beim Wort nehmen. Aber wie?

Szenenwechsel: Eine junge Mutter in den frühen Achtzigern steckt ihren Sohn in selbstgestrickte Kleider und gestattet ihm nur Spielsachen aus Holz. Batterien sind ausgeschlossen. Die Haare bekommt er nur dann geschnitten, wenn die Mondknoten im Anstieg begriffen sind. Das Kind darf argumentieren, wenn es eine Ausnahme wünscht, die Mutter gönnt ihm Meinungsfreiheit, es redet sich den Mund fuselig, jedoch ohne Erfolg. Für Batterien gilt ein striktes Nein. Also rennt das Kind seinem ferngesteuerten Auto am Kabel hinterher.

Ein völliges anderes Erziehungsprozedere, das aber der Schwarzen Pädagogik in Sachen Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit in nichts nachsteht. Auf ihre Beweggründe hin befragt, würde die Mutter vielleicht klarstellen, dass ihr Sohn früher oder später in einer Gesellschaft bestehen müsse, die zunehmend ökologischer wird. Grob gesagt soll er jemand sein, der frühzeitig lernt, den Planeten zu schützen, denn der Klimawandel bedroht alle.

Damit tritt eine Banalität zutage, nämlich dass jede Erziehungsmethode die ganze Gesellschaft im Auge hat. Das Kind wird aus Fürsorge so behandelt, dass es sich in diese Gemeinschaft einfügt, wie immer sie beschaffen ist. So wird es anerkannt und kommt so auch als Erwachsener in die Lage, dadurch ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen. Angewidert von der Schwarzen Pädagogik entgeht uns völlig, dass sie so gesehen keine Ausnahme darstellt. Der Pfarrer hat eine brutale Zivilgesellschaft im Auge, die er selbst erlitten hat und die immer militärischer wird. Autoritäten setzen ihren Willen durch, da gilt kein Wenn und Aber. Haneke zeigt, wie brutaler Hass unter den Geschlechtern sich entlädt sowie unter Landadel und Bauernschaft. Herausfordernde Kinder schlägt man am besten windelweich.

Die Liebe, die der Pfarrer meint, bedeutet die Fürsorge, dass man das Kind frühzeitig an die Härte gewöhnt, damit es in der Gesellschaft des deutschen Kaiserreiches auch dann besteht, wenn seine Eltern nicht mehr da sind.

Was uns pervers erscheint, befolgt ein Grundmuster wie seit je.

Mehr nicht.