Die Lehre von der planetarischen Abdrift des Lebens durch uns Menschen wird so lange hypothetisch bleiben, bis Leben im All sich so verteilt hat, dass es kosmischen Katastrophen wie etwa Supernoven entgeht. Diese Lehre finde ich aus dem einzigen Grund aufschlussreich, da sie eine notwendige Umwertung besonders der menschlichen Konflikte erfordert, die im Rahmen kultureller Evolution geschehen. Diese Konflikte belasten ganze Generationen als sinnlos. Nun zeigt sich, dass sie wahrscheinlich einen Zweck erfüllen, der übergeordnet ist. Die These von der planetarischen Abdrift des Lebens ermöglicht somit eine Art Anti-Nihilismus.
Angenommen es wäre der Fall, dass das Leben uns Menschen benötigt, um von hier wegzukommen, da es beinah sämtliche irdischen Sphären besiedelt hat, dies um planetarischen Gefahren wie Seuchen oder Meteoriteneinschläge durch strikte Ausbreitung zu entgehen, dann sind Schlussfolgerungen zwingend, die manchem missbehagen: Zum Beispiel gilt dann die grundsätzliche Einheit von Mensch und Natur. Auch wird so klar, dass diese planetarische Abdrift nur mit Technik gelingt. Dabei liegt es in Augen vieler gerade an der Technik, die uns von der übrigen Natur abtrennt. Zwar benutzen auch Tiere Geräte, wenden also Techniken an. Wir Menschen aber, so der Stuttgarter Werner Geist, benutzen Geräte nicht nur, wir verbessern diese auch technisch. Und das kommt in der übrigen Natur sonst nicht vor. Werner Geist nennt diese Eigenschaft Progressus. Seiner Ansicht nach enthebt uns diese Eigenschaft der übrigen Natur. Sie macht uns für die Auslese unangreifbar. Daher gilt die Eigenschaft des Progressus, also der technischen Verbesserung von Werkzeugen, als Novum, die mit dem Auftreten von Leben innerhalb abiotischer Verhältnisse vergleichbar sei. Das leuchtet unmittelbar ein, wenn es nicht der Fall wäre, dass es wiederum die Natur ist, die uns mit dieser Eigenschaft ausgestattet hat. Also sind wir auch so in der Einheit des Lebens eingebunden. Die Eigenschaft des Progressus hat demnach, wie überhaupt Eigenschaften von allem Lebendigen, eine Funktion auf dem Weg zur Abdrift hin. Das zu bedenken dürfte ungewohnt sein, ja gar befremdlich. Besonders dann, wenn klar wird, dass die technische Verbesserung von Geräten zu ersten Mechaniken führt wie den Mühlradantrieb und schliesslich zu Maschinen in jeder Form. Dazu zählt auch die Künstliche Intelligenz. Sie ist weiter nichts als eine verfeinerte Mechanik, die vollständig auf Befehle, auf Algorithmen angewiesen ist. All diese Techniken zählen genauso zum erweiterten Phänotypen Mensch wie ein verlassenes Nest zum erweiterten Phänotypen Amsel.
Der erweitere Phänotyp Mensch, also seine kulturelle Produktion insgesamt, ist für die Abdrift des Lebens vom Planeten unverzichtbar. So die These, um die es hier geht.
An dieser Stelle im Gedankengang steigen jene aus, die evolutionistisch denken. Eine Funktion setzt voraus, dass das Leben Einsicht hat in den Gesamtzusammenhang seines Fortkommens seit Jahrmillionen. Und Einsicht setzt einen Verstand voraus, was viele ablehnen, aus der Sorge, das Bedürfnis nach Religion und Verklärung könnte erneut das Weltverstehen kapern und so einem strafenden Gott wieder zu Ansehen verhelfen oder einem gütigen Gott, der uns andauernd mit einem schlechten Gewissen belegt. Umgekehrt reden wir völlig selbstverständlich von intelligenten Lebensformen. Das gilt auch für Amöben, für Geisseltierchen, für Plankton. Wenn also das Leben Intelligenz hervorbringt, beherrscht es Intelligenz. Demnach wäre es eine Supraintelligenz, wie sie Religiöse ihrem Gott zusprechen. Das Problem liegt daran, dass der Begriff Leben an sich eine Abstraktion darstellt, die all das bedeutet, was verkörperte Lebensformen, sprich Phänotypen, gemeinsam haben: Nebst Sterblichkeit oder Fortpflanzung also auch Intelligenz. Wer den Funktionalismus des Lebens bejaht, dass es also zu organischen Einrichtungen kommt, die Zwecke bedienen, zeigt sich auch geneigt, das so genannte Intelligent Design für zutreffend zu halten. Evolutionisten lehnen beides ab, den Funktionalismus aus genanntem Grund, das Intelligent Design, da es einen Designer voraussetzt, sprich eine Art Schöpfer, wie ihn Kreationisten annehmen. Die Auslese sorgt durch Zufall für Artenvielfalt, da die meisten Umweltveränderungen unvorhersehbar sind. Bei einer Situation jedoch, etwa wenn ein Jäger seine Beute anpirscht, wäre es unsinnig, von Zufall zu reden, zweckmässig jedoch, dem Räuber eine klare Absicht zu unterstellen.
Dabei übersehen Evolutionisten, dass die Auslese nur dann greift, wenn Leben schon zur Welt gekommen ist. Auf den ersten Schub von Leben hat die Auslese keinen Zugriff. Erst, wenn das Leben schon da ist.
Und dieses erste Leben muss in irgendeiner Art designt gewesen sein, damit es Funktionen wie Stoffwechsel, Selbsterhalt und Fortpflanzung erfüllt, die alles Lebendige zwingend ausmachen. Diesem ersten Schub von Leben lässt sich notfalls Absichten unterstellen. Immerhin tendiert die Wahrscheinlichkeit, dass Leben entsteht, gegen Null. In einem Umfeld, in dem Schwerkraft herrscht und das aus Mineralien besteht, aus abiotischen Stoffen somit, lässt sich unmöglich eine Erscheinung sachlogisch herleiten, die ausgerechnet das Gegenteil erfüllt, indem es aus biotischen Stoffen verfasst ist und die Schwerkraft überwindet. Dieses Argument könnte den Grund dafür liefern, dass diese Sonderbarkeit, dieses Novum mit Werner Geist gesprochen, durchaus Absichten hegt, etwa dass es alle kosmischen Räume zur unbedingten Fortexistenz besiedelt.
Absichten kennen wir von uns selbst. Je nach Situation lassen sie sich auch anderen Lebensformen sinnvoll unterstellen. Aber wie kann das Leben für sich genommen Absichten hegen? Das erscheint uns nicht nur rätselhaft, sondern abwegig. Dabei haben wir genauso wenig Ahnung darüber, wie es kommt, dass das Fettgewebe in unserer Hirnschale Absichten hervorbringt. Jeden Tag fassen wir Absichten und setzen sie um. Die Frage ist, ob wir tatsächlich Urheber davon sind. Das moderne Konzept von Freiheit und Haftbarkeit bejaht diese Frage eindeutig. Eine Absicht setzt voraus, dass uns etwas Zweckmässiges einfällt. Dieser Einfall passiert bei den einen früher, bei anderen später, bei wieder anderen gar nicht. Aber sind wir Urheber davon? Das meinen wir, da der Einfall ein intimes Ereignis darstellt, das wir nach aussen unter Leute tragen. Jedoch setzt sich niemand hin mit dem Vorhaben, sich so anzustrengen, dass ihm ein Einfall kommt, der ihn zu einer sinnvollen Absicht führt.
Der Einfall stellt sich einfach ein, ebenso eine Erinnerung, ein Aha-Erlebnis.
Und die Neurobiologie zeichnet den Weg nach, den dieser Einfall durch tiefer gelagerte Gehirnzonen gemacht hat, bevor er ins Bewusstsein tritt, wie er ohne unsere bewusste Kenntnis mehrfach überprüft und sortiert wird.
Wir sind nicht Herr unserer Einfälle. Also sind wir auch nicht Herr unserer Absichten.
Und: Was immer mir einfällt, und was immer ich darauf für Absichten fasse, es sind immer zugleich Einfälle und Absichten des Lebens selbst. Mein Einfall, meine Absicht sind Ereignisse des Lebens. Selbsterhalt und Fortbestand sind Interessen, die jeder Lebensform zukommt.
Also gelten sie für das Leben überhaupt.
Die Überzeugung, das Leben verfolgte keine Absichten zu Selbsterhalt und Fortbestand, wäre schwierig zu begründen, wenn alle Phänotypen dies tun, in die das Leben atomisiert ist. Die planetarische Abdrift des Lebens kann also ebenso darauf beruhen, dass es die Absicht dazu hat. Wer aber Mühe damit hat, stellt es sich als ein kosmisches Ereignis dar, das absichtslos geschieht und dank der Auslese, wenn folglich eine Umweltveränderung auf die unterschiedliche körperliche Verfasstheit einer Lebensform einwirkt, in kosmische Räume vordringt. Und dies über die planetarische Beschränktheit hinaus.
Die Abdrift jedenfalls gelingt nur mit Technik, wie gesagt. Es braucht auch die nötige Gesinnung dazu, dass man die entsprechenden Rohstoffe schürft sowie die Technologie erarbeitet, nach der diese Technik konstruiert wird. In diesem Zusammenhang ist die Raketentechnik wichtig. Diese Technik ging aus Imperialismus und zwei Weltkriegen hervor. Eine Entwicklung somit, die niemand gutheisst. Raketentechnik kam erstmalig nicht zu dem Zweck zustande, die Erde zu verlassen, sondern markierte einen weiteren Meilenstein im kriegerischen Rüstungswettlauf, der Jahrhunderte alt ist: Hellebarde, Schwarzpulver, Rücklader, Tanks, Atombombe. Ein Krieg wird, statt durch Tapferkeit und Strategie, durch eine technische Neuerung entschieden. Diese denkwürdige Entwicklung verzeichnet weiters Rassismus und Imperialismus. Allesamt problematische Gesinnungen, bei denen wir froh wären, sie hätten nichts zur planetarischen Abdrift beigetragen. Diesen Beitrag gilt es aber anzuerkennen, sofern die Raketentechnik auch später für diese Abdrift entscheidend sein wird. Dabei ist zu bedenken, dass Gegenkräfte, die diese Gesinnungen bekämpft haben, ebenfalls an der Entwicklung zur Raketentechnik und damit zur Abdrift mitwirken. So haben die USA die anfängliche Technologie von den Nationalsozialisten nach deren Niederlage übernommen.
Konflikte erweisen sich als Motoren im Vorwärtskommen zur Abdrift hin. Man spricht von schöpferischer Zerstörung. Die Opfer, die dabei zu beklagen sind, bedeuten für das Leben kein Problem, da es immer auf beiden Seiten steht: Aufseiten der Opfer genauso wie aufseiten der Täterschaft. Nur wir mit unserer punktuellen Sorge um Selbsthalt und Fortbestand innerhalb dieses kosmischen Weges unterscheiden Gut von Böse und ringen um Fassung angesichts einer scheinbar sinnlosen Umwelt.
Einziger Sinn und Zweck wäre die Abdrift vom Planeten. Und alles Übrige, jede Form von Gesinnung, also jede Religion, jede Ideologie, wäre in diesen Zweck dienstbar eingebunden und somit als untergeordnet zu sehen.
Das Leben bedeutet nicht nur Aufbau und Wachstum, sondern auch zerstörerische Schöpfung. Die These von der planetarischen Abdrift des Lebens gibt dieser Gesamtentwicklung Sinn.
Selbst der Tod bekommt so eine ungeahnte Funktion, soweit er uns Menschen betrifft. Denn ohne Wissen um unsere Sterblichkeit, ohne Todesbewusstsein würden wir gar nichts als sinnvoll begreifen. Nach Heidegger fassen wir Sinn nur im Vorlauf zum Tode, wie er es nennt. Wären wir unsterblich, hätte nichts für uns Sinn. Nichts wäre dringend, nichts notwendig, nichts so unglaublich wertvoll. Bekanntlich beneiden Götter die Sterblichen um die Intensität ihres Erlebens, das von daher bedingt ist, dass sie sich ihres Sterbens bewusst sind. Nicht die Sterblichkeit selbst fördert diese Intensität, sondern das Wissen darum. Metakognition ist also unabdingbar zur Bewerkstelligung der Abdrift. In unsterblicher Taubstummheit käme sie niemals zustande. Das Todesbewusstseins erhöht auch die Bereitschaft, dass wir etwas Sinnvolles bis aufs Blut verteidigen. Diese Bereitschaft fördert die schöpferische Zerstörung und steht somit im Dienst ihres Beitrages zur planetarischen Abdrift des Lebens.
Der Unterschied zwischen Gut und Böse ist unserer punktuellen Sorge geschuldet. Für das Leben wirkt die Spannung dazwischen als ein Motor in der Entwicklung auf die planetarische Abdrift hin.
Diese relativierende Sicht kann nur nützlich sein, indem sie Feindschaften nicht als minderwertig zeigt, sondern als zweckmässig eingebunden in den Weg des Lebens.
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