Was meint eine esoterische Person genau, wenn sie vor einer dunklen Energie warnt? Energie ist doch wertneutral.
Auf Nachfrage zeigt sich mir zweierlei: Entweder teilt diese Person gütigerweise die Befindlichkeit ihrer Klienten, begibt sich sozusagen auf Augenhöhe zu ihnen. Oder aber sie steckt in der gleichen Denkblase wie sie. Dunkle Materie, schwarze Löcher heissen so in der Physik, aber sie haben keinerlei moralische Bewandtnis. Licht und Dunkel ebenso wenig. Dieser Gegensatz dient als beliebtes Sinnbild für Gut und Böse. Das hat Tradition. Es gibt Menschen, die mögen es schummrig. Sie decken Lampen mit Tüchern ab, während andere am liebsten jede Ecke ausgeleuchtet haben. Ich gehöre zu Letzteren. In der Rigveda wird das Thema endlos variiert, wie das Morgenlicht durch die Nacht bricht, wie geraubte Kuhherden aus dem Felsen befreit herausströmen. Ohne planetarische Atmosphäre würde uns das Sonnenlicht verbrennen. Was also soll daran gut sein? In einem bewaldeten Bachtobel habe ich eine nächtliche Finsternis erlebt, die mich derart abschottete, dass ich wunderbar nach innen fiel. Es gibt Leben am Tag, es gibt Leben bei Nacht.
Was also ist dunkle Energie? Die erste Antwort lautete, es sei eben eine ganz andere Energie. Da fällt diese moralische Färbung, die mir verdächtig vorkommt, schon mal weg. Die Situation, in der diese Dunkelheit warnend zur Sprache kam, handelte vom Fremdgehen. Eine Problematik, die in moralischer Hinsicht sicher delikat ist. In esoterischen Kreisen jedoch beschränkt sich die moralische Empfindlichkeit häufig darauf, ob Energie fliesst oder nicht. Die Situation war folgende: Zwischen zwei Familien kam es zu einer Seitenbeziehung, mit Zustimmung der Partner, wenn auch nicht von Anbeginn, die beide früher in Kommunen die Kultur der so genannt offenen Beziehung schätzen gelernt haben. Zwar kann Eifersucht immer wieder auflodern, aber man bleibt zusammen. Die Frau nun, die Mutter der einen Familie, bringe dunkle Energie mit aus ihrer Verbindung mit dem Vater, ihrem Partner, hiess es. Und diese Energie trage der Fremdgänger, mit dem sie ausserhalb der Familie intim verkehrt, in seine Familie, wo sie die Kinder in ihrer natürlichen Offenheit zur Welt belaste. Auf weitere Nachfrage klärt sich, dass diese Übertragung gegenseitig passiert, sozusagen über Kreuz.
Diese Energie heisst dunkel, weil sie Kinder belastet. Aber sie belastet sie, weil sie anders ist. Das hat seine Natürlichkeit, denn Familien vermischen sich nicht. Auch Patchworkfamilien sind ebenso eigene Gefüge, die sich auch nicht beliebig vermischen. Da fällt mir ein, dass die Natur Vieles voneinander abschottet, damit es ungestört heranreift, nämlich Dinge, die mit Brutpflege oder mit Metamorphose zu tun haben: Ei, Bau, Nest, Kokon, Puppe. Die Natur sortiert, schottet ab. Was fremdartig riecht, wird abgewehrt.
Jede neutrale Energie, die dort eindringt, wirkt belastend bis zerstörerisch. Also heisst sie dunkel.
Auch Kulturen wachsen vergleichsweise abgeschottet von anderen heran, wie Stämme, oder Völker. Diese Sortierung schürt auch Konflikte, in der Art, wie ein Fremdgehen unter Familien eben belastend wirkt. Dasselbe gilt wohl auch für Überzeugungen, für Religionen, Ideologien, für ganze Weltbilder, die zwar nicht geschützt heranreifen, jedoch unbeschadet fortbestehen sollen, ohne dass man sie in Zweifel zieht. So gesehen erweist sich der politische Konservativismus als die Sorge, die eine natürliche Abschottung sicherstellt. Die Fremdenfeindlichkeit, die alles andere als überwunden ist, beweist einmal mehr, dass wir in einer spättierischen Zeit leben. Progressive wollen umgekehrt die Abschottung löchern, damit Einflüsse von aussen das innere Gefüge verändern.
Dunkle Energie also gilt nie absolut, sondern in Bezug auf eine bestimmte Situation.
Und wenn jemand zu hören bekommt, er bringe dunkle Energie mit, dann sagt das nur darüber aus, wie er sich zwischen natürlichen Abschottungen verhält: Er zirkuliert, und das wäre ebenso lebensnotwendig.
Auch in Kulturen gibt es innerste Bezirke, die abgeschottet bleiben, wie heiliges Feuer im Tempel, wie Regelwerke, an denen kein Buchstabe verändert werden darf, da sich alles Zwischenmenschliche davon ableitet. Keine Infragestellung, die meistens von aussen kommt, darf hier Einfluss nehmen. Auch gibt es Leute, die gewisse Dinge für sich behalten. Über gewisse Themen, Vorkommnisse reden sie einfach nicht. Oder sie betonen, dass sie niemals darüber reden werden. Das mag sozial befremdlich wirken. Der Abstand, der dabei zu anderen entsteht, ist in dieser Sache ja erwünscht. Es gehört zum Konzept der Freiheit, zumindest nach Peter Bieri, dass man eine sehr intime Angelegenheit für sich behält.
Denn so wird sie davor bewahrt, dass in sie hereingequatscht wird.
Als würde die Person, die sich in dieser Art abgeschottet hält, einfach mit den Jahren die nötigen Erfahrungen sammeln wollen, damit sie in dieser intimen Sache irgendwann zu einer Entscheidung findet, die ganz allein sie getroffen hat. Offensichtlich gehört das zu einer Art Heilsprozess.
Es verhält sich genau wie bei den zwei Familien: Die Meinungen, die auf meine höchst persönliche Sache Einfluss nehmen, gehen ja ihrerseits aus einer intimen Ökonomie hervor. Diese vergleicht sich mit einer Energiequelle, während die wertende Meinung, mit der ich zu tun bekomme, als Energie verstanden wird. Das klingt abwegig, immerhin steht jedoch für Quantenphysiker fest, dass Beobachtung oder Messung energtischen Einfluss auf das Verhalten von Kleinstteilchen nimmt. Und dass uns fremdes Gerede zusetzen kann, lässt sich leicht nachvollziehen.
Denn wir alle sind vom Leben betroffen, wir alle sind verstrickt mit Welt. Also auch die Menschen, die bei mir dreinreden
Ihre intime Ökomomie ist mir aber fremd. Sie geht mich nichts an.
Wenn jemand mit einer gewissen intimen Angelegenheit seines Lebens für sich bleibt, durchlebt er eine Art Kokonstadium, eine mentale Verpuppung, die eben ihre Zeit benötigt.
Dunkle Energie, so erfahre ich weiter, bedeute auch, dass jemand Kräfte saugt. Dunkel energetisch wäre demnach sein Aufwand, sein Bemühen, das er aufbringt, um einer anderen Person nahe zu kommen und in ihrer Nähe zu verbleiben, damit er von ihr zehren kann. Der Typ Vampir gehört zum Reich des Bösen. Eine phantastische Figur mit natürlichen Vorbildern wie Schnaken oder Vampirfledermäusen. Diese aber ernähren sich wie alle Lebewesen, wo eben Nahrung zur Verfügung steht. Der Aufwand, den sie dafür betreiben, entspricht den üblichen Belangen natürlichen Überlebens.
Von Bosheit, von Dunkelheit also keine Spur.
Wenn ein Mensch also Energie nötig hat, wenn er Kräfte tanken soll, dann holt er sich wie alles Lebendige das Nötige, wo er es eben findet. Wie Wurzeln, die nach Feuchtigkeit zitternd vorantasten. Dunkel im moralischen Sinn ist die Situation nur dann, wenn die Quelle, die er anzapft, ihrerseits energiearm ist. Beide vermeiden, dass sie eingehen. Der eine wehrt ab, der andere saugt an.
Eine völlig natürliche Situation.
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