Viele Angehörige meiner Generation verachten den Rummel, der um Serien veranstaltet wird. Sie sollten umdenken, sobald eine Familie gemeinsam eine Serie schaut. Generationen, sonst eher getrennt, verständigen sich über den Konsum von Serien, denn in eine Serie passt bekanntlich mehr Leben. Ein weiterer Vorteil, gewisse Serien wie “Outer Banks” zu schauen, greift hingegen tief ins Archaische.

Der Unterschied zwischen Generationen verläuft mitten durch das Dickicht an Serien, die es heute gibt. Jeder Generation ihre Serie! Aber es gibt Schnittmengen. So etwa Star Wars. Die Möglichkeit, Serien gemeinsam zu sehen, führt zu einer neuen Art der Verständigung unter Generationen. Die reinste Hermeneutik, aus dem Sofa heraus, mit Fernbedienung in der einen Hand und mit Chips in der Schale in der anderen. Ein neuer Weg, dass Generationen einander sich bekannt machen. Etwa dadurch, dass man einen bestimmten Charakter oder die gleiche Situation einer Geschichte ausdeutet. Nämlich erfreulich gleich oder erhellend anders. Auch hält man gemeinsam Rückschau auf die Entwicklung, die zu dieser Situation geführt hat. Dabei kann es zu gegenseitigen Belehrungen kommen, bei denen das Alter keine Rolle mehr spielt.

Unter Umständen pflegen Generationen ein völlig anderes Weltverständnis.

Dieser Austausch unter Generationen wäre schon früher über Buch und Film möglich gewesen, aber es kam wohl selten dazu. Heute gelingt er vielleicht auch deshalb, da die Eltern zu ihren Kindern, zumindest der Tendenz nach, ein eher kameradschaftliches Verhältnis pflegen. Das klingt toll, beglückt Heranwachsende aber nur bedingt. Auch kommt dazu, dass Serien bekanntlich deshalb so viel Leidenschaft binden, da sie längere Phasen eines Lebens einfangen. Man findet seine Biografie eher darin gespiegelt, als es bei einem einzelnen Spielfilm der Fall wäre. Gut und Böse wechseln mitunter sogar die Seiten, beispielhaft bei “Game of Thrones”. Das klingt näher bei der Wirklichkeit. Man bekommt mehr über seine eigenen Lebensumstände nachzudenken. Also gibt es auch mehr zu erzählen. Will man an diesem Austausch unter den Generationen festhalten, kann sich aber auf keine Serie einigen, dann gehört es sich, dass Erwachsene den flexiblen Part in dieser Beziehung erfüllen. So will es die Entwicklungspsychologie. Diese Anpassungsfähigkeit hat aber ihre natürlichen Grenzen.

Warum etwa soll ich mir eine Serie wie «Outer Banks» antun, für die sich viele Jugendliche begeistern? Keine Staffel, keine Folge, ohne dass eine Aufregung auf die andere folgt. Da gibt es Jugendliche, die einem Goldschatz hinterherjagen. Muss das wirklich sein, fragt man sich. Die jungen Leute debattieren ohne Ende. Es kommt zu Prügeleien am laufenden Band, abgelöst von Liebschaften und tiefschürfender Gruppendynamik. Da gibt es hochkriminelle Eltern, eigentlich Konkurrenten oder Partner ihrer Kinder bei dieser Schatzsuche. Dauernd ist man auf der Flucht, alles gelingt knappstens im allerletzten Moment. Jachten fliegen in die Luft, Pistolen stecken geladen im Hosenbund. Die Dramatik wird bis auf Äusserste ausgereizt und einen Tick darüber hinaus. Und das mitten in einem Feriengebiet der Extraklasse für Surfer. Die unterschiedliche Schichtzugehörigkeit der Jugendlichen könnte einen soziologisch interessanten Rahmen abgeben, sie liefert aber nur reizvolle Konflikte für die doch eher simple Dramaturgie. Surfer als Schatzsucher. Ein Motiv, so richtig auf jugendliche Streamer zugeschnitten. Die Ironie dabei ist mit Händen zu greifen, ebenso das Unverständnis mancher Erwachsener, warum man sich das antun soll. Warum gleich ballern, gleich eine Verfolgungsjagd hinlegen, gleich zum Äussersten greifen? Mitten in einer westlichen Zivilisation.

Da fällt mir auf: Die Ukrainer sind seit einem Jahr genau in diese Lage gebracht: Von heute auf morgen mussten fliehen, sich verteidigen, mussten zum Äussersten greifen lernen. Eine Aufregung jagt die nächste: Bombardements, Drohnenanschläge, ein Gegner, der keine Gnade kennt, der aber auch Fehler macht. Man muss lernen, ihn zur Strecke zu bringen, ohne Skrupel, ohne Wenn und Aber.

Und das inmitten einer westlichen Zivilisation.

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg könnte man dieser Art von Serie sogar eine anthropologische Funktion zuschreiben. Etwas, das in Richtung gemeinsamer Instinkte geht. In der Öffentlichkeit wird das Unverständnis darüber geteilt, dass Krieg abermals möglich ist. Das Volksgedächtnis sieht das wohl anders. Kriege stecken einem Volk in den Knochen, selbst uns Schweizern. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses Gedächtnis bis in die Steinzeit zurückreicht. Abermals fällt mir auf, dass unsere Gesellschaft in ihrer heutigen Verfasstheit uns Erfahrungen vorenthält, bei denen wir wie eben aus Instinkt ahnen, dass sie uns nach wie vor beschäftigen könnten, auch wenn sie für überwunden gelten.

So eben das Handwerk zu töten.

Womöglich bedienen Serien wie “Outer Banks” und Vergleichbares diese gemeinsame Ahnung, dass man solche latent drohenden Tatsachen wenigstens zu Gesicht bekommt.

Wenn auch nur aus dem Sofa heraus.