Politische Korrektheit nimmt ein Anliegen ernst, das ganze Generationen beschäftigt. Aber es gibt scharfe Gegner. Diese richten sich weniger gegen das Anliegen selbst, eher stossen sie sich daran, dass politische Korrektheit unter sozialem Druck diktiert wird. Denn dieses Diktat stellt das Anliegen über andere Interessen, die genauso ihre Dringlichkeit hätten.
Politische Korrektheit als Diktat beleidigt manche, die gemässigt wären. So laufen sie zum Populismus über. Ihr Anliegen liegt für viele auf der Hand, nämlich: Gerechtigkeit für die Geschlechter sowie Aufwertung scheinbar minderwertiger Arbeit, einerseits vor dem Recht, aber auch in Wort und Schrift, also im öffentlichen Diskurs. Als Kind der Postmoderne leuchtet mir dieses Anliegen wie von selbst ein. Es gehört zum Lauf der Geschichte, dass Minderheiten meinen, sie müssten für die Mehrheit entscheiden. Sie halten ihr Anliegen für sachlich zutreffend und derart dringend, dass sie seine Durchsetzung gebieten. Dadurch schaffen sie Feinde, die mit dem Diktat auch das Anliegen angreifen, das dahinter steht. Auch die nachwachsende Generation wird gar nichts erst dazu befragt.
Politische Korrektheit sorgt also für mehr Streit, als dass sie die Gesellschaft beruhigte. So jedenfalls macht es den Eindruck. Das berechtigt, sie erneut zu prüfen, zumal ihr Diktat auf keinem demokratischen Entscheid beruht. Der erste Gesichtspunkt ist rasch abgehandelt: Die Umbenennung gewisser Berufe soll diese Tätigkeiten aufwerten. «Servierfräulein» oder «Krankenschwester» scheiden aus. Berufe dieser Art kommen in den Genuss der Bezeichnung «Assistenz». Das klingt wertvoller, meint man. Aber wohl nur deshalb, weil es in unseren Ohren als Fremdwort oder als Fachbegriff so Eindruck macht. Denn im Gehalt ändert sich nichts. Spontan stosse ich im Netz auf eine Übersetzung, die überrascht: Assistent bedeute «Mädchen für alles». Dann wären wir mit dieser begrifflichen Aufwertung wieder am Anfang . Diese Ausdeutung ist nur bedingt richtig. Immerhin aber erinnert die Stammsilbe «sist» nicht nur an das lateinische «Hinstellen», was auch nur mit untergeordneter Dienstfertigkeit zu tun hat, sondern ebenso an das englische «Sister», die Schwester also, die allen zur Hand geht.
Der zweite Gesichtspunkt, den ich hier abhandle, greift tiefer. In seiner letzten Publikation «Fallobst» erwähnt Hans Magnus Enzensberger einen «schwangeren Teenager», der sich das Leben nimmt. Damit verstösst er frontal gegen die politische Korrektheit, wie sie heute gefordert wird. Man hört jemand den Finger zur Korrektur erheben: Es heisse, bitte schön, schwangere Teenagerin. Was wäre damit getan? Nicht viel. Oder doch? Mir scheint, dass zum problematischen Sachverhalt gar nichts beigetragen wird, wenn stattdessen von einer schwangeren Teenagerin die Rede wäre, wie es sein sollte.
Auch werde ich den Eindruck nicht los, dass man dieser jungen Frau in ihrer schwierigen Situation in Enzensbergers Redeweise gerechter wird, als wenn man ihr Geschlecht wörtlich benannte.
Dabei könnte man doch einfach dafürhalten, das Geschlecht sei doch bereits durch die natürliche Tatsache gewürdigt, dass nur Frauen schwanger werden können. Aber das kommt mir wie eine Ausflucht vor. Immerhin gibt es Eigenschaften, die nur Teenagern zukommen, unabhängig ihres Geschlechtes. Zum Beispiel befindet sich ihr Gehirn im Umbau. Und das kann bis tief in die Zwanziger anhalten. Eine ETH Professorin soll ihre Studenten liebevoll Kinder genannt haben. Ich kenne keine Bildungsstätte, wo dieses Wissen handlungsleitend wäre. Anforderung und Bewertungsmassstab, die an Heranwachsende in diesem Alter Anwendung finden, sind eigentlich auf Erwachsene zugeschnitten. Aus Sicht der Entwicklungspsychologie ein grober Fehler. Für mich belegt diese Dummheit, dass Lehrkräfte wider besseres Wissen die Anforderungen einfach hochschrauben. Sonst sind sie ausserstande, ihre Schülerschaft in Zaum zu halten. Man überhäufe die Heranwachsenden mit Projekten, verkürze die Zeit und erhöhe im Gleichzug die Eckwerte einer Arbeit, wie zum Beispiel die geforderte Seitenzahl, und schon wird es mucksmäuschenstill in den Reihen von Teenagern. Rebellion ist mühsam geworden. Zwar bekommt man keine Ohrfeigen mehr verpasst. Dafür muss man endlose Gespräche mit Gutmenschen durchstehen.
Wenn Enzensberger von einem schwangeren Teenager spricht, würdigt er einen Menschen, der in einer ganz bestimmten Phase seines Lebens unter aussergewöhnlichen Umständen steht. Die wörtliche Berücksichtigung des Geschlechtes wirkt in diesem Fall sogar deplaziert. Vor allem, da sie bedingungslos gefordert wird. Diese Forderung stösst die Bedürfnisse vor den Kopf, die ausgerechnet diesen Typen von Mensch, also den Teenager beschäftigen. Sie drängt sich vor, wie eine Person, die andauernd auf sich selbst bedacht ist. Zum Beispiel weiss man, dass sich alles in der so genannten Adoleszenz im Übergang zum jungen Erwachsenenalter um die persönliche Identität dreht, aber gewiss nicht um die notwendigen Belange einer Gesellschaft. Dennoch wird ihnen ein erwachsenes Verhalten abverlangt, und man schüttelt den Kopf, wenn sie es verfehlen. Pädagogen neigen nun mal zu Ignoranz. Ebenso weiss man, dass der Mensch in diesem Alter erst spät am Tag auf das Licht anspricht. Dennoch haben diese Menschen wie Werktätige auf der Matte zu stehen. Wo kämen wir hin, liessen wir Teenager erst am späten Vormittag aus dem Haus schlurfen.
So ignorant verhält sich unsere Wissensgesellschaft gegenüber neuen Kenntnissen.
Es mag verächtlich anmuten, wenn ich von Typen spreche. Aber das hat seinen Grund: Während der sechzehn Jahrgänge Mediamatiker, die ich als Fachlehrer unterrichtete, gab es immer eine Handvoll Frauen je Klasse. Dabei fiel auf, dass die Mädchen keineswegs zwingend untereinander Freundschaft schlossen. Sie taten sich zusammen, wenn es sich ergab, meistens aber waren sie natürlich unter die Jungs gemischt. Irgendwann wurde mir klar, dass nicht das Geschlecht die Teenager sortiert, sondern ihr Typus: Unabhängig ihres Geschlechtes fanden die Rapper zusammen, die Mangas, die Hippies, die Gothics. Dabei mag es sich um blossen Lifestyle handeln, es liegt gewiss nicht an uns, zu entscheiden, welcher Typ ernst zu nehmen ist und welcher nicht. Es gibt Typen ernsthafteren Zuschnitts: Man weiss nämlich, dass auch Bulimisten zueinander finden, Dismorphophoben und sonstige Phobiker. Asperger eher weniger, da der Stress des einen auch für den anderen schwer erträglich ist. Aber sie schätzen, dass andere genau Bescheid wissen. Die Liste solcher Typen lässt sich fortsetzen: Menschen mit Suchtproblematiken, Spitzensportler, Soziopathen, Queers und alle anderen Zwischengeschlechter, wie ich sie unbeholfen nenne, die die politische Korrektheit ja gleichfalls ausspart. Die Beauftragte für Frauenfragen im Betrieb hatte jedenfalls nichts zu tun. Ihr Mandat ging über ein Frühstück mit den neuen Mediamatikerinnen, das jährlich stattfand, nie hinaus. Eine Umfrage unter ihnen führte ihr Unverständnis zutage, was ihr Beruf mit ihrem Geschlecht zu tun haben könnte. Diese Frage blieb für sie unbeantwortet, also scherten sie sich wenig um politische Korrektheit.
Diese Leute, die sich nach Typen sortieren, könnten ebenso gut eine politische Korrektheit im Wording fordern, das sie als besonderen Typ in Wort und Schrift berücksichtigt. Auch könnte ein Mensch verlangen, dass seine Rassenzugehörigkeit ausdrücklich gewürdigt wird, statt dass man nobel darüber hinwegsieht, wie es die politische Korrektheit verlangt. Auch Behinderte könnten genauso gut eine vergleichbare Rücksichtnahme fordern, die auf sie zugeschnitten wäre.
Sie tun es nicht. Ein Glück.
Die Anreden im öffentlichen Diskurs wären vor lauter Rücksichtnahme auf vielfältigste Gruppierungen derart überfrachtet, dass man ständig von den Sachthemen abgelenkt wäre. Daher stellt sich heute die Frage: Warum soll man ausgerechnet die Rücksichtnahme in Wort und Schrift auf das Geschlecht unter sozialem Druck anstrengen, während man andere Gruppen aussenvorlässt, insbesondere die neuen Zwischengeschlechter, die gar nichts davon haben?
Diese Antwort ergibt sich von selbst, sobald die Generationen einander ablösen.
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