Nun schimpfen sie wieder. Schande auf mich und alle, die für satte Gewinne hohe Risiken eingehen. Die Kritiker haben recht. Ausnahmslos. Aber sie kapieren die Gesellschaft nicht, der wir alle angehören.

Wir seien nur gierig, heisst es. Auch das trifft zu. Wenn ich ein paar Millionen besitze, gelte ich unter Milliardären, mit denen ich Umgang habe, als armer Schlucker. Also stocke ich auf. Dazu nutze ich, wie alle Menschen, die Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen. In Sachen Gier gibt es jedoch Einiges zu sagen, das im Moment nirgends zu Wort kommt: Hinter Gier steckt die Angst um Verluste. Milliarden verdampfen genauso schnell wie Millionen. Und wer mehr besitzt, leidet mehr Verlustangst. Das unterschätzt man leicht. Wo soll man sein exorbitantes Vermögen platzieren, sodass es zumindest gesichert ist? Das sind ernste Fragen. Wer nichts besitzt, hat auch nichts zu verlieren. Wenn man aber meint, unsere Gier sei schuld an dem öffentlichen Misstrauen, das die Bank nun ins Strudeln bringt, dann geht rasch vergessen, wie schamlos gierig unsere Kunden sind. Auch ihre Gier verantwortet die Lage mit, in die wir geraten sind. Leo als Wolf der Wall-Street hat es allen vorgeführt, indem er einen Kunden dank dessen Gier einseifte. Nur ein Film zwar, aber es gibt gewiss Stimmen genug, die seine Nähe zur Wirklichkeit bezeugen. Jedenfalls sind eingehende Recherchen von einem Künstler wie Scorsese zu erwarten, der diesen Film gedreht hat. Schwerreiche lassen sich mühelos über den Tisch ziehen. Die Reibung schmeichelt ihnen dabei wie Nestwärme.

Unser aller Gier ist hier am Werk.

Gier erklärt sich von selbst, meint man. Ein rückständiges, triebhaftes Verhalten. Das täuscht. Es steckt mehr Überlegung darin, als uns lieb ist. Ein Hund, der raffgierig seinen Frass wegschlabbert, verhält sich sachlich richtig. Denn seine Art kennt nur das Fressen im Rudel. Bei uns Menschen verhält es sich gleich. Wir rechnen in die Zukunft voraus und horten aus Angst vor Mangel. Genau wie der Hund.

Gier bedeutet Angst, gepaart mit Kalkül.

An dieser Stelle müsste ich mich als jemand, der risikofreudiger als andere vorgeht, bei der Mehrheit aller bedanken, also bei jenen, die sich gesittet benehmen und schön Mass halten, wie wir es von Kindesbeinen an vorgelebt bekommen. Ich rede mal zusammenfassend von bürgerlichen Tugenden, die sie auszeichnet, während ich sie nur befolge, wenn ich öffentlich auftrete. Hier zeigt sich, welche Funktion diese Tugenden erfüllen. Gewiss sorgen sie für die Sicherheit einer ganzen Gesellschaft in ihren heiklen Abläufen, sichern Vertrauen, wo immer es nötig ist. Das wäre aber nur die halbe Wahrheit, denn so käme es wohl zu keinem verlässlichen Fortschritt. Diese Sicherheit, die dadurch garantiert ist, dass die meisten sich im bürgerlichen Sinn tugendhaft verhalten, bietet denjenigen wie mir einen sicheren Rückhalt, die Risiken eingehen. Darin sollte man eine Art Zusammenarbeit erkennen. Sie halten das Sprungtuch straff für den Seiltänzer.

Aber was haben sie davon, so der sichere Einwand, der sachlogisch folgt. Hier endet auch schon das Sinnbild des Seiltänzers. Im Gegensatz zu den meisten, die kaum Risiken eingehen, lassen sich Hochrisikobanker wie mich auf Dinge ein, die gelegentlich auftreten, aber kritisch sind. Und ebenso auf Dinge, die häufig auftreten und geringfügig schädlich sind, oder auf solche, die entfernt vorstellbar, jedoch katastrophale Auswirkungen nach sich ziehen können. Meistens zahlt sich das aus. Und zwar in einer Höhe, die der Risikobereitschaft entspricht. Also je höher, desto mehr. Das mag unserer persönlichen Gier geschuldet sein. Aber die ist bloss Mittel zum Zweck. Satte Gewinne jedoch, die auch zügig hereinströmen, bringen eine Bank in die Lage, dass sie aus vollen Händen Kredite vergibt. Die risikoscheuen Kritiker, die uns mit Schmutz bewerfen, wollen natürlich anständig Geld verdienen und anständig ihre Freizeit auskosten. Da braucht es Angebote, die auf Kredite angewiesen sind. All die Firmen, die Dienstleistungen erbringen. Arbeite hart, spiele hart, so heisst es doch. Da müssen Angebote zur Wahl stehen. Der Vorteil liegt sogar darin, dass die jeweiligen Anbieter ihre Kredite gar nicht zurückzuzahlen brauchen, solange sie die Zinsen begleichen. So spielen wir die ursprünglichen Kosten mehrfach wieder ein. Am besten hört das gar nicht auf. Das amortisiert sich in schwindelerregende Höhen.

Auch was Boni betrifft, erstaunt mich die Blauäugigkeit der Leute, wenn sie diese Form der Entlöhnung anprangern. Natürlich ist die Höhe dieser Prämien in keiner Weise zu rechtfertigen, wenn wir das Richtmass zum Vergleich nehmen, nach dem man uns für alltägliche Wertschöpfung belohnt. Boni sind mit keinem Lohn vergleichbar, ohnehin nicht in Abstimmung auf irgendeine Wertschöpfung. Boni vergleichen sich mit fetten Würsten, die hoch oben im Kamin hängen. Sie ziehen die Belegschaft gleichsam nach oben. Und während die hochkriecht, säubert sie den Kamin. Wie beim Spitzensport wird nur eine Minderheit in den Genuss dieser beispiellosen Pfründe kommen. Diese Leute mögen sich daran sattleben, wer immer das sein mag. Überblicke ich meine bisherige Laufbahn, stelle ich zu meiner Schande fest, dass der Zufall mehr als einmal günstig mitgespielt hat.

Denn wer will diese Arbeit wirklich tun? Überlege, auf welches Leben ein Hochrisikobanker einmal zurückblicken wird. Wir jonglieren mit Zahlen, die auf keiner Wertschöpfung beruhen, die mit Händen zu greifen wäre, sondern aus dem Schaum der Finanzmärkte geboren sind. Wir schieben Beträge hin und her, schicken sie ein paar Mal rund um die Welt, splitten sie auf oder klumpen sie zusammen, je nach dem, was der Finanzmarkt verheisst. Wir wenden rohe Tricks an, damit der Gier Anderer Genüge getan ist. Tricks und Kniffs wie Bauern, würde ich ergänzen, aber das beleidigt ihre urtümliche Wertschöpfung, die unverzichtbar ist, indem sie alles Gesellschaftliche begründet. Wir hebeln den Staat aus, wo immer es geht, frohlocken über jede Lücke im Gesetz, schöpfen sie aus bis zur bitteren Neige.

Eine Drecksarbeit. Ein Drecksleben.

Und wenn man bedenkt, dass ich Freundschaften geopfert, dass ich Intimbeziehungen in den Sand gesetzt habe, davon zwei Ehen, nur damit ich an die Würste gelangte, dann ist mühelos einzusehen, warum ich sehr leicht der Überzeugung erliege, ich hätte diesen Reichtum auch redlich verdient.

Nur so lassen sich vergleichbare Exzesse verstehen: Man muss nachfragen, was die fraglichen Personen meinen, geopfert zu haben.

Man darf frohlocken: Wir haben also schon Schande genug auf uns geladen.