Wer über Sinn oder Sinnlosigkeit des Lebens nachsinnt, denkt sozusagen im Leerlauf. Das Leben liegt jenseits davon. Sinn oder Sinnlosigkeit also: Weder das eine noch das andere macht Sinn. Das lässt sich sachlich herleiten. Bedauerlich für die, die sich in einem Sinn des Lebens sonnen, jedoch ein Glück für jene, die die angebliche Sinnlosigkeit des Lebens herunterzieht. Für beide gibt es gute Nachrichten.
Kosmische Zusammenhänge verraten so viel Sinn wie aufgewirbelter Staub. Es hat sich eingebürgert, dass man den Bereich des Lebens im Gegensatz zu Mikro- und Makrokosmos als ein mittlerer Zwischenbereich bezeichnet, nämlich als Mesokosmos. Daraus folgt: Sinn taucht im Mesokosmos auf. Eben als Frage nach dem Sinn. Und diese Frage kommt als Mensch zur Welt. Also hat die Evolution immerhin die Sinnfrage hervorgebracht. Damit ist über Sinn oder Sinnlosigkeit des Lebens noch nichts gesagt. Aber man darf klarstellen, dass es sehr wohl etwas über diesen Kosmos aussagt, wenn er zwar keinen handfesten Sinn erzeugt, der für uns auf Anhieb lesbar wäre, jedoch die Frage danach aus sich hervorbringt.
Die Sinnfrage kommt als Eigenschaft menschlichen Lebens zur Welt. Tätig wie wir sind und eingebunden ins alltägliche Überleben stellen wir natürlicherweise Fragen an unsere Umgebung, auf die wir sinnvolle Antworten erhalten. Wir bewältigen Aufgaben, die uns nach dem Wie, dem Wann, dem Wo genauso fragen lassen, wie nach dem Warum und dem Wozu. Diese letzten beiden Fragearten machen aus, was wir mit Sinn meinen. Deshalb rede ich von sinnvollen Antworten: Grund und Ziel einer Sache sind klar bestimmbar. Auch der Zusammenhang, in dem diese Angelegenheit eine Rolle spielt, lässt sich handlich überblicken. Sobald wir aus den Antworten, die wir bekommen, den gewünschten Nutzen ziehen, erachten wir das als sinnvoll. Wenn nicht, so gilt das Gegenteil: Eine Situation, bei der ein Nutzen ausbleibt, erachten wir als sinnlos oder unsinnig. Sinn spielt also immer dann eine Rolle, wenn es um Mittel und Zwecke geht. Und Mittel und Zwecke wiederum haben letztlich mit unserem Überleben zu tun, das überdies auch angenehmen verlaufen darf. Der Faustkeil aus Swanscombe [p 91], England, ist deshalb sinnvoll gefertigt, da nicht nur seine Klinge zum Schneiden geschärft ist, sondern auch die Kanten soweit abgeschliffen sind, so genannte Abschlagsnarben, damit der Stein angenehm und ohne zu verletzen in der Hand liegt. Diese Schliffe zeigen einen klaren Sinn. Eigentlich zwei Sinne: Einmal geschliffen, um Schnitte beizufügen, ein anderes Mal, um Schnitte zu vermeiden. Der Zusammenhang, in dem dieser Sinn spielt, bedeutet ein Überleben in widrigen Umständen auf so angenehme Art wie möglich.
Es verweist auf eine Lebensform, die bestmöglich überleben will und dazu den Begriff Sinn gebraucht.
Das Bestreben, bestmöglich und somit angenehm zu überleben, findet sich auch in der sonstigen Natur zuhauf. Grund, Ursache und Ziel stehen in einem Zusammenhang, der den Sinn mitbestimmt. Einzeldinge können wir nur in Zusammenhängen verstehen. Ein Apfel, der im All um einen Schwerpunkt kreist, ergäbe für uns keinen Sinn. Der Zusammenhang fehlt. In diesem Fall seine Geschichte: Dass er für Tiere nahrhaft ist. Dass er von seiner Mutterpflanze Samen in sich trägt. Und so fort.
Ein Beispiel dazu, das sehr eingängig ist: Für religiöse Menschen ist alles Sinnvolle in Gott aufgehoben. Gott bildet somit den Zusammenhang, der allem Sinn verleiht, da er Grund und Ziel von allem ist. Wenn wir kindlich danach fragen, was nun Gott genau ist, also woher er kommt oder was ihn verursacht hat und wozu er da sein soll, fragen wir nach einem Zusammenhang, der Gott Sinn gibt. Ich vermute, in jeder Religion wird diese Frage als unreif abgetan. Sie stellt beinahe ein Tabu dar. Meistens wird sie ernsthaft mahnend zurückgewiesen. Aus klaren Gründen. Denn so wird die Sinnstiftung in Zweifel gezogen, die Gott erbringt und uns so die schwierigen Belange des Lebens einordnen und ertragen lässt.
Die Frage nach dem Sinn Gottes beschädigt den sozialen Nutzen von Religion.
Angenommen die Antwort auf die Frage nach Herkunft und Funktion von Gott lautete so etwas wie: das suprakosmische System Omega, dann würden wir nach anfänglicher Begeisterung sehr bald danach fragen, in welchem Zusammenhang nun dieses System sinnvoll zu begreifen sei. Und das würde nie aufhören. Das nennt sich infiniter Regress. Der Zusammenhang gibt der Einzelheit Sinn, die er einschliesst. Er zeigt ihre Funktion, die sie darin hat. Nun sind wir aber in der Lage, dass wir diesen Zusammenhang wiederum als Einzelheit befragen. Mit dem neuen Zusammenhang, sofern wir ihn denn finden, ergeht es gleich. Und so fort. Dieser Sinn, der alles klärt, sollte zudem beständig sein. Wie Sternbilder. Sie verharren seit Jahrtausenden wie Kristalle an Ort. Es kommt mir vor, ihre funkelnde Beständigkeit begründe zuallererst unsere Auffassung von Gott.
Beim Leben verhält es sich ähnlich. Es bietet für alles Sinnvolle und Unsinnige unter uns Menschen den nötigen Sinnzusammenhang. Im Leben gibt es Geschichten ohne Ende zu erzählen, die mehrfach verkettet und ineinander verschachtelt sind. Wenn wir aber das Leben selbst nach einem Sinn befragen, greifen wir darüber hinaus. Eben in eine Art Himmel. Dort aber finden wir keinen Zusammenhang. Der Zusammenhang fehlt. Die Frage nach dem Sinn bleibt dann unbeantwortet, wenn sie sich auf Bereiche bezieht, die ausserhalb davon liegen. Der Zusammenhang jedenfalls, der das Leben in sich fasst und ihm so Sinn verleiht, entgeht uns seit je.
Kosmisch gesehen hängen wir in allseitiger Tiefe.
Eigentlich liegt der Irrtum klar: Der Mesokosmos, verkürzt das Leben an sich, bringt die Sinnfrage hervor, die sich alltäglich bewährt. Man muss schon nichts zu arbeiten haben, wenn man auf die Idee kommt, die Sinnfrage auf das Leben selbst anzuwenden, das sie hervorbringt. Das meine ich mit Denken im Leerlauf. Zum Vergleich: Das Leben hat den Tod hervorgerbacht, unser Vorlauf zum Nichts schlechthin, aber es selbst ist nicht sterblich. Das Leben hat die Geburt hervorgebracht, unser Rücklauf zum Etwas schlechthin, ohne dass es selbst geboren wäre. Da liegt der Schluss nahe, dass es zwar die Sinnfrage hervorbringt, selbst jedoch ausserhalb des Gültigkeitsbereichs dieser Frage liegt. Wer also nach dem Sinn des Lebens fragt, begeht eine Art Fehlschluss. Daher entbehrt es keinerlei Logik, wenn jemand schlussfolgert, der Sinn des Lebens sei Unsinn. Und ebenso das Gegenteil davon.
Leben an sich liegt jenseits von Sinn und Sinnlosigkeit. Auf mich persönlich wirkt die Sichtweise befreiend. Es bereitet mir ein Gefühl, als könnte ich mich endlos fallen lassen. Hingegen mag es jene ernüchtern, für die ein Sinn des Lebens wichtig ist, ob romantisch verklärt oder verhängnisvoll darin vernarrt. Ein Funken Hoffnung für Ernüchterte kommt unerwartet von der Wissenschaft. Viele Denker dort setzen als Gegenteil von Sinnhaftigkeit nicht etwa Sinnlosigkeit oder Unsinn, sondern Zufall oder Zufälligkeit. Zwar enthält sich die Wissenschaft einer Frage nach dem Sinn des Lebens, denn das Leben ist kein Gegenstand für sie. Das zeigt sich unter anderem daran, dass sie bisher zu keiner Bestimmung gelangt ist, die unbestreitbar wäre, was Leben sein soll. Für manche Wissenschaftler gibt es nur ein kosmisches Zittern von Kleinstteilchen, aus dem sich alles andere zufällig ergibt. Sie haben gute Gründe dafür. Andere wiederum vermitteln durchaus Ansätze, wie man innerhalb des Lebens zur Annahme eines Sinnes gelangt, also ohne dass man gleich einen Gott bemüht. Ein solcher Ansatz fängt bei der Unwahrscheinlichkeit an, dass sich Leben aus abiotischen Substanzen herausgebildet hat. Denn diese Wahrscheinlichkeit ist gleich Null. Es heisst, die Natur sei in keiner Weise darauf aus gewesen, Nukleoside oder Nukleotide zu bilden [p. 97]. Der Zufall für die Entstehung von Leben bemisst sich laut Shapiro [ebd.] an folgendem Vergleich: Nimm an, du schleuderst eine Schaufel voll beliebig gemischter Scrubbel-Steine auf die Wiese, die Steine landeten und bildeten einen vollständigen Satz.
Zum Beispiel der Satz:
D A S L E B E N H A T K E I N E N S I N N.
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