Jede sexuelle Orientierung hat mit dem gleichen Leben zu tun. Genau wie ich. Einerlei, wie diese Orientierung aus dem Leben hervorgeht, ob aus persönlicher Entscheidung, ob therapeutisch gut begründet oder einfach als Lebensstil, ich interessiere mich dafür. Es sind Lebensformen, die ich abstrichlos anerkenne. Hier stehe ich, nein hier sitze ich und kann nicht anders. Wenn jedoch Dragqueens Kindern im Vorschulalter Märchen vorlesen, kommt mir das sehr angestrengt vor. Ich kritisiere unabhängig dieser Personen eine hemdsärmelig naive Bildungsmethode, bei der man zudem diplomatisch ungeschickt vorgeht.

Diese Methode lautet: Präge Kinder so früh wie möglich. So wachsen sie zu besseren Menschen heran. Es gab dieses Vorgehen schon immer: Im Schweizer Schulsystem, in China, im liberalisierten England, im Stalinismus, im Nationalsozialismus, in zahllosen Kaiserreichen. Neuerdings auch in Kreisen, die sich für aufgeklärt und für besonders fortschrittlich halten. Diese Methode krankt an dem Nachteil, dass es unüberprüfbar ist, ob aus einem einzelnen Kind ein besserer Erwachsener wird, wenn es zum Beispiel Dragqueens beim Märchenerzählen begegnen durfte. Wie sollte man das Verhältnis zwischen der besonderen Beschulung und dem späteren Gutmenschentum isoliert herauslösen können, sodass die Kausalität dazwischen klar würde? Nun, es ist unmöglich. Dennoch wird an solchen Methoden festgehalten, auch wenn ihre Tauglichkeit unüberprüfbar ist. Auch Präventionskampagnen gegen Tabakkonsum verschlingen seit Jahrzehnten Steuergelder, ohne dass sie erfolgreich wären. Der Grund, warum daran festgehalten wird, ist vielleicht dieser: Ämter wie Einzelpersonen beweisen, dass sie Massnahmen ergriffen und durchgesetzt haben. Sie machen sich vorwurfsfrei, mehr nicht. An ihnen wird es dann nicht gelegen haben. Man muss nur Listen mit Anforderungen abarbeiten.

In etwa den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts hat man keine Dragqueens von Kindergarten zu Kindergarten gekarrt, sondern Behinderte. Man merke: Mein Vergleich gilt der Methode, nicht den Personen. Als gesellschaftlich Benachteiligte lassen sich Dragqueens und Behinderte sehr wohl auf einen Nenner bringen. Die Schlussfolgerung, Dragqueens seien Behinderte, würde bedeuten, dass der eine Einzelfall dem anderen untergeordnet wird. Dies hätte zur Folge, dass die Merkmale, die ausschliesslich für Behinderte als Einzelfall gelten, sachlich falsch auf Dragqueens angewendet würden. Dieser Fehler zeigt sich deutlich am Umkehrschluss: Denn Behinderte sind keine Dragqueens. Oder höchstens in solchen Fällen, wie sie unter uns ohnehin vorkommen. Stattdessen lässt man die Merkmale aussen vor, die diese Fälle unterscheiden, und fasst die gemeinsamen zur Gruppe oder zur Menge der gesellschaftlich Benachteiligten zusammen.

Diese Ausführlichkeit in der Analyse der Argumentation mag lästigfallen, sie ist von daher geboten, da heute Schlagworte im Umlauf sind, die dafür sorgen, dass man sorgfältige Argumente leicht missversteht, indem vorschnell geschlussfolgert wird. Das liegt daran, dass die Spannung zwischen kulturellen Gruppierungen beträchtlich zugenommen hat. Damals also besuchte eine kleine Frau mit Stummelarmen und ein paar Fingern daran, die wie kleine Würste aussahen, eine Schar Kindergärtner und zeigte ihnen vor, wie sie strickte. Sie ging blitzschnell und geübt vor. Ihre Fingerchen flatterten befremdlich, was die Kinder völlig entsetzte. So kam es, dass eines von ihnen in Ohnmacht fiel.

Ein solcher Vorfall lässt sich als eine traurige Ausnahme abtun, die der politischen Dringlichkeit, dass man ein Bewusstsein für Behinderte sprich für Dragqueens gesellschaftsweit verankert, keinesfalls im Wege stehen darf. Je mehr Eifer jedoch am Werk ist, desto eher besteht die Gefahr, dass der Schuss sogar nach hinten losgeht: Die Möglichkeit besteht durchaus, dass dieses Kind Behinderte von da an sogar fürchtet. Ausserdem dürfte ungeprüft geblieben sein, ob die Botschaft auch verstanden wurde. Im Falle des Dragqueen-Beispiels erzählte manches Kind gewiss zu Hause, ihnen hätten komische Frauen vorgelesen.

Dazu ein anderes Beispiel: Ein Freund von mir verbrachte seine Kindheit in den Achtzigern, erzogen von einer alleinstehenden Mutter mit frühökologischer Überzeugung. Eine Grüne der ersten Stunde. Der Bub bekam von ihr nur Holzspielsachen geschenkt. Ein Kran, ein Lastauto, eine Eisenbahn. Seinem Wunsch, er möchte doch auch einmal ein ferngesteuertes Auto besitzen, entsprach sie nur halbwegs, indem sie klarstellte, zumindest Batterien kämen ihr nicht ins Haus. Mein erhielt einen Rennwagen, der über Kabel mit der Steuerung verbunden war. So kam es, dass der Bub seinem Spielzeug andauernd hinterhereilte, während seine Kollegen lässig dastanden und ihr Auto in die Ferne schickten. Entscheidend dabei ist: Aus dem Buben wurde kein Erwachsener mit ökologischer Überzeugung. Im Gegenteil, die Erziehung, die ihm seine Mutter angedeihen liess, steuerte ihn geradewegs in die Arme des Techno der Neunziger. Er wurde ein Raver, begeisterte sich für Synthetisches genauso, wie für elektronischen Schnickschnak aller Art. In leutseliger Stunde kramen wir sein Holzspielzeug unter dem Dach hervor und spielen damit herum.

Das ist die Gefahr: Ein Anliegen brennt unter den Nägeln, man trifft alle erdenklichen Mittel, um die Sache in den Griff zu kriegen. Diese Beflissenheit schiesst fast notwendig über das Ziel hinaus. Einerseits schafft man so neue Probleme, mit der die nächste Generation zu tun bekommt.

Andererseits fehlt es in diesem Eifer an Respekt gegenüber Andersdenkenden.

Mancher Populist oder Angehöriger der jungen alten Tat würde wohl Dragqueens in Frieden lassen, wenn man es unterliesse, ihm Respekt und Anerkennung einfach zu befehlen.

In einem Lehrmittel für Realien, das ausdrücklich den Lehrplan 21 erfüllt, stellen die Autoren zum Thema «Ich und meine Freizeit» Kinder und ihre Beispiele vor. Wir sehen einen Jungen, der Ballett tanzt, ein Mädchen mit Begeisterung auf dem Traktor fahrend, ein Bub, wie Pferde pflegt, ein Mädchen im Fussballkostüm. Kein Bub, der Motoren zerlegt, oder ein Mädchen, das seine Puppen bekleidet. Warum nicht beides?

Wer diese Auswahl bestimmte, verhalf einem wichtigen Anliegen zur Durchsetzung. Gleichzeitig betrieb die Person Machtpolitik, indem sie andere Beispiele unterschlug.

Damit hat sich die Vorherrschaft, um die es bei jeder Machtpolitik geht, nur auf die andere Seite verschoben.

Unfriede und Demütigung setzen sich fort.