Weg mit diesem Techno-Zeug! So ein Elter zu seinem oder ihrem Kind mit Bildschirm. Diese Ignoranz erinnert an das neuzeitliche Unverständnis, das man Leuten entgegenbrachte, die in Bücher starrten wie auf ein Stück Holz. Damals wie heute gilt: Von Aufklärung keine Spur. Nehmen wir an, das Kind spielte gerade Woodoku, mein neustes Vergnügen für Zwischendurch. Da lohnt sich ein genauer Blick, statt Abwehr aus Abstand.

Kritiker dieser Leidenschaft für Spiel und kniffliger Denke am Bildschirm beschäftigen sich kaum damit. Eher halten sie tunlichst dazu Abstand, beurteilen sie lieber von aussen. Nicht zuletzt aus der Scham, dass sie rasch überfordert sind, wenn es um die schlichte Handhabe am Bildschirm geht, die digital Eingeborene beinahe im Schlaf verrichten. Unter diesen Kritikern befinden sich auffallend viele Leute meines Alters. Einige weigern sich, die Computerisierung mitzumachen, zeigen sich sogar stolz darauf. Sie erinnern an die Erzieher ihrer Jugend, an denen sie sich von Herzen störten, da sie sich ihrerseits gegen jegliche Entwicklung stellten. Unter ihnen hält sich hartnäckig das Urteil, beim Spielen am Bildschirm leide die Kreativität. Eine Spielpartie mit Brett und Würfel anlässlich eines familiären Sonntags bietet kaum mehr davon. Ausserdem kennt, wer so urteilt, das Game Minecraft nicht. Dort hört man den Einwand, das Spiel sei unwirklich. Tatsächlich müssen die Spieler das Gestein, das sie abbauen, nicht herauskarren. Schlägt man es ab, zerfällt es zu Staub.

Übersehen wird, dass jedes Spiel, ob virtuell oder nicht, eine beschränkte Anzahl an Möglichkeiten bietet, bei der wir Spieler herausfinden, was wir mit ihnen anzustellen in der Lage sind.

Genauso wie beim Leben selbst.

Daher verliert eine Partie an Reiz, änderte man während des Spiels die Regeln ab. Das Vorgehen somit, aus Möglichkeiten das Beste herauszuholen, ist gesellschaftlich erwünscht, ganz besonders dann, wenn man dabei sportlich über sich hinauswächst. Jedes Spiel versteht sich als Schulung dieser Fertigkeiten. Dazu sind immer kognitive Anforderungen zu bewältigen, die sich leicht unterschätzen lassen. Im Falle von Woodoku sieht das so aus: Neun Neuner-Felder liegen vor im Quadrat. Demnach betragen sämtliche Horizontalen und Vertikalen ebenfalls neun Felder. Per Zufall erscheinen drei Module von kleinen Quadratfiguren, die unterschiedlich gefügt sind: Als Viererfeld, als Zweier- bis Fünfachgrupppe in waagrechter wie senkrechter Anordnung. Es gibt Quadratgruppen in Hufeisenform, oder solche, die kreuzweise oder punktsymmetrisch oder in der Diagonalen aneinander hängen. Diese Figuren hat man so zu legen, dass sich Neunergruppen wiederum in der Horizontalen, in der Vertikalen oder im Feld ergeben. Diese leuchten golden auf und verschwinden mit Glockenton. Dadurch geben sie Platz frei für weitere Legungen, die die Punktezahl in die Höhe treiben. Dazu erforderlich ist eine Mustererkennung auf Stufe Schulkind, allerdings bei ständigem Abgleichen und Abzählen in die genannten drei Richtungen. Nach anfänglichem Herumtappen mit Zufallstreffer kommt es zu ersten Strategien, die wohl von keinem Spieldesigner vorweg allesamt zu berechnen sind. Zum Beispiel die Regel, dass man die Formen, die auftreten, so dicht wie möglich zusammenlegt. Denn leere Zwischenräume, sofern sie zersplittert sind, verringern die Legemöglichkeiten. Weiter empfiehlt es sich, eine Pause einzulegen, wenn man zu sehr in Fahrt kommt oder anfängt zu hadern. Das Spiel lässt sich zu beliebiger Zeit fortsetzen. Eine weitere Strategie, die sich mit der Zeit ergibt, sieht vor, dass man bereits, sofern möglich, mit den drei Figuren, die jeweils zusammen auftauchen, eine Gewinnlücke hinbekommt. Das bedeutet, dass man die Figuren nicht auf Vorrat legt, in der Annahme, die dazu passende Ergänzung werde schon folgen. Man sollte also nicht auf bestimmte Formen über mehrere Züge hinweg spekulieren. Und wenn doch, dann ist augenblicklich von einem günstigen Vorhaben abzulassen, damit andere Möglichkeiten auffallen, die sich erst auf den zweiten Blick für vielversprechend erweisen. Anders als beim Jassen zum Beispiel treten die Formen unbeschränkt und zufällig auf, es wäre überflüssig, wenn man sich ihre Abfolge merkte, um seine Figuren entsprechend zu legen.

Dieses Spiel stellt also denkerische Ansprüche. Trotzdem ist es ein Lustgewinn. Wie geht das? Kahnemann unterscheidet das kurze, leichte Denken, das bei uns abgeht, wenn wir zum Beispiel einer spannenden Geschichte folgen, vom langsamen, schwierigen Denken, das wir zum Lösen einer Rechnung im Kopf mit mehrstelligen Zahlwerten benötigen. Beide Denkarten vollziehen die gleiche Alltagslogik, aber beim anstrengenden Denken fällt der Anreiz von aussen weg. Das Woodoku scheint beide Denkweisen in Einklang zu bringen. Das gelingt aber nur durch jenen Anreiz, der dadurch sein Lockmittel ausübt, dass die Neunergruppen, sobald sie richtig gefügt sind, golden aufleuchten und sich auflösen wie gesagt. Die Lust vermehrt sich, wenn es einem gelingt, dieses Leuchten in Serie abzuernten, zumal die Punkte dann steigen. Dadurch füllen sie den Akku meines Selbstwertes an.

Am liebsten lösten wir geschickt und verspielt ein Blitzgewitter von Gold aus, das zugleich die Punkte in die Höhe treibt.

Dieses goldene Aufleuchten mag in Augen mancher den Suchtgehalt dieses Spiels bezeugen. Tatsächlich rührt es einen urtümlich an, finde ich. Es kitzelt die Lust auf Vermehrung, die hier nur durch Geschicklichkeit zu erreichen ist. Herumprobieren, Strategien entwickeln, mit Taktiken verfeinern, auf Lohnvermehrung hinarbeiten, indem man sich anstrengt, indem man zunehmend trickreicher vorgeht:

Alles in Allem sehe ich zwischen dieser Spielart und dem wirklichen Leben keinen Unterschied mehr.