Wenn sich in einer Gesellschaft Schichten ausbilden, halten wir das für ungerecht. Früher fand man sich damit ab: Die Reichen und die Armen, diese Prekären, zu denen der Mittelstand absinkt. Folglich wird Schichtbildung als rückständig erachtet. Die Aufklärung, die für Gerechtigkeit für alle einsteht, versagt immer wieder. Das kann einen zusetzen. Bevor man sich selbst aber gleich aufgibt, sollte man bedenken, dass Schichtbildung immerhin natürlich ist.
Verständnis für schwieriges Verhalten wie Egoismus oder Gewalttätigkeit fällt uns schwer. Der Verweis darauf, diese Verhaltensweisen kämen auch sonst in der Natur vor, überzeugt kaum. Wir Menschen sollen es besser tun als die Natur. Im Zuge der Coronakrise ging die Befürchtung um, eine weltweite Oberschicht bilde sich heraus. Eine Art Geldadel, der seine Mittel nutzt, um uns Massenmenschen in Schach zu halten oder gar auszudünnen. Der Verweis auf seine Natürlichkeit soll ein Verhalten oder ein denkwürdiger Ablauf, wie eben Schichtbildung einer ist, weder entschärfen noch entschuldigen. Dieser Vergleich bewahrt uns vor einer Selbstaufgabe aus Bitterkeit, die uns bloss lähmt, wenn es darum gehen soll, die Umwelt zu verbessern. Indern bereitet Schichtbildung auch in der menschlichen Gesellschaft ohnehin kein Kopfzerbrechen.
Für Inder ist die ganze Wirklichkeit geschichtet.
Der Eifer um mehr Gerechtigkeit kann immer scheitern. Ganz sicher unterliegt er der Natur, wenn sie sich wie Hochwasser durchsetzt. Denn Schichtbildung hat eine klare Aufgabe im kosmischen Fortgang des Lebens. Wie alles Natürliche ist sie denkbar einfach. Das zeigt sich am Beispiel Hierarchie besonders deutlich: Befehl und Ausführung sind festgelegt. Eine Feuerwehr, die im Einsatz herumdebattiert, verfehlt ihre Aufgabe. Befehl und Ausführung spielen überall da eine Rolle, wo die Dringlichkeit keinerlei Zeitverzug erlaubt. Daher auch im Operationssaal, in der Armee. Es gibt Menschen, die Befehle empfindlich treffen. In Vorgesetzten sehen sie bloss Personen mit einem Hang zu Machtmissbrauch. Dabei übersehen sie, dass diese sozial schwierige Eigenart einem Gemeinwesen sehr wohl nützt, das unter Druck gerät. Und so platziert es ausgerechnet Machthungrige am richtigen Ort. Nimmt der Druck Überhand, ob von innen oder von aussen, sucht sich das Gemeinwesen eine besonders abgebrühte und soziopathische Person, die sie dann als Diktator einrichtet.
Wir meinen entsetzt, die Ausbildung gesellschaftlicher Schichten gehöre einer rückständigen Vergangenheit an. Der ritterliche Adel übertünchte seine bäuerische Herkunft, indem er Düfte an sich auftrug, die dem Stallgeruch gezielt entgegengesetzt waren. Parfum als Imitat pflanzlicher Wonnen. Wir finden Darstellungen abstossend, die Eingeborene zeigen, wie sie Europäer durch den Dschungel tragen. Die jüngsten Jahrzehnte boten Wohlstand und Frieden. Die Hierarchien blieben flach und die Unterschiede zwischen den Schichten fielen nicht weiter ins Auge. Man mag dies einer Vernunftleistung für geschuldet halten, wie wir Moderne es uns gerne einbilden. Dabei belegt diese Situation weiter nichts, als dass diese Gesellschaft bis in diese Tage keinem nennenswerten Druck ausgesetzt war.
Aufklärung? Vernunft? Bei der weltweiten Verteilung der Impfmittel zeigte sich in aller Deutlichkeit, dass wir Westler unsere Anwärterschaft auf vorbildhaften Fortschritt mit Gerechtigkeit für alle verspielt haben. Wir sind um kein Haar besser als andere. Die Völker mit mehr Rücklagen, die stärkeren also, schaufelten sich die Vakzine zu. Die Rede ist von den Jahren 2021 bis 22. Und genauso läufts in der Natur: Stärke setzt sich durch. Die Alphatiere bilden eine Oberschicht. Sie beissen die schwächeren Tiere an ihren Platz zurück, sobald die meinen, sie könnten eigene Futtergründe erschliessen. Der Stamm muss zahlenmässig überlegen bleiben, damit eine fremde Horde ausweicht, die unter Umständen genauso unter Druck steht. Die japanischen Rotgesichtsmakaken sind niedlich anzusehen, wie sie in vulkanbeheizten Teichen hocken, während Schnee auf ihre Köpfe flockt. Dabei handelt es sich um Alphatiere mit ihren Angehörigen. Den Schwächeren des Stammes jedenfalls ist das Bad im Heisswasser untersagt. Sie harren in der Kälte aus, auch sie mit ihren Familien.
Die meisten sterben.
Zwar gehört die Unterschicht zum Stamm, jedoch nur teilweise. Genauer bildet sie einen flexiblen Übergang zwischen Freund und Feind. Denn dieser Teil des Stammes wird benötigt, um seine Stärke pro Kopf zu gewährleisten. Andererseits jedoch hat er eine Art Abstossfunktion inne. Sollte es hart auf hart zugehen, kann sich der Stamm notfalls von seinen Schwächsten trennen und sie einer heranstürmenden Übermacht opfern, die dadurch, dass sie zu jagen bekommt, ausgebremst wird, während der übrige Stamm sich in Sicherheit bringt. Schliesslich muss keineswegs der ganze Stamm überleben, sicher aber der bessere Teil davon.
Wenn wir diese Einsicht auf Menschen rückübertragen, wird uns flau im Bauch. Noch einmal: Es geht nicht darum, dass ich die Schichtbildung in Menschengesellschaften verharmlose, nur weil sie natürlich ist. Da gäbe es Marxisten zuhauf, die hier sofort Ausgleich schafften.
Bevor wir jedoch ob uns selbst in Resignation versinken, da es harzt mit Aufklärung und Fortschritt, sollten wir eben beachten, immerhin wieviel Natürlichkeit an Schichtbildung hängt.
Das entschuldigt nichts, erhellt jedoch Vieles.
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