In Reaktion auf die Zustimmung des Moskauer Patriarchen zum Krieg in der Ukraine 2022.

Allein bin ich zur Welt gekommen, allein werde ich sterben. Allein, das heisst: Eins mit dem All. Zwischen Geburt und Tod liegt mein Leben. Keines sonst. Demnach geniesse ich wie alle Lebewesen einen bevorzugten Zugang zum Kosmos. Diesen intimen Zugang jedoch habe ich weder gewählt, noch mir zugespielt. Was immer ich tue, was immer ich unterlasse, sind zugleich Ereignisse oder Unterlassungen des Lebens selbst. Mein Leben gehöre mir, heisst es. Ein seltsamer Besitzstand, bei dem zwischen dem Besitzer und seinem Gut kein Unterschied besteht. Als Besitz müsste es ganz von mir zu lösen sein. Daher gilt: Mein Leben steht im Dienst am Leben überhaupt, indem es die Zwecke bestimmt, die für mich gelten, sowie die Mittel dazu bereit stellt, wenn es sich denn fügt. Ich gehöre dem Leben. Nicht umgekehrt. Dieses Leben bringt Verwundung und Schuld. Beides nehme ich auf mich. Ohne Zorn und ohne Reue. Ich bin Nahrung, und ich verzehre Nahrung. Ansonst töte ich nichts und niemanden, nur damit ich sicher lebe. Denn so fügte ich anderen zu, was ich selbst abwehre. Notfalls verlösche ich in Anstand und Würde. Mein Körper besteht aus Stoffen, die von Sternen herrühren. Das Eisen in mir stammt als Asche von fernsten Supernoven ab. Die Natur sorgt dafür, dass mein Gehirn aufs Gramm gerechnet zig tausendmal mehr Energie hervorbringt als ein Gramm Sonne. Diese ungeheure Bündelung kosmischer Energie führt zu einem Erkenntnisüberschuss, der uns auch Probleme bereitet. Ein Leben rein aus Instinkten verliefe zuverlässiger. Das lässt sich an Kleinstlebewesen belegen, die im Sekundentakt Generationen hervorbringen. Diese Bündelung an Energie im menschlichen Schädel hat auch Verhaltensweisen zur Folge, die sozial problematisch sind. Seit jeher stempeln wir sie als bösartig oder krankhaft ab. Diese Verhaltensweisen sind anders zu beurteilen, wenn man die natürliche Einrichtung dieses Erkenntnisüberschusses in Rechnung stellt. Denn niemand hat sie an sich gewählt. Der natürliche Tatbestand, dass unser Gehirn aufs Gramm gerechnet weitaus mehr Energie hervorbringt als ein Stückchen Sonne, veranlasst mich also dazu, dass ich den seltsamsten Verhaltensweisen von Menschen, die mit diesem Energieüberschuss in irgendeiner Form zurechtkommen, achtsam und mit Interesse begegne. Dieser Anspruch gilt für uns alle. Und das hat glücklicherweise zur Folge, dass uns nichts Menschliches fremd sein kann, wie es heisst. Genau genommen kann uns nichts Natürliches fremd sein. Die Grösse des Gehirns verlangt natürliche Anpassungen, damit es zur Welt kommt, nämlich das anormal verbreiterte Becken menschlicher Weiblichkeit sowie der Umstand, dass jeder Mensch als hilflose Frühgeburt zur Welt gebracht wird. Das Leben hat so diesen ökonomisch bestmöglichen Zeitpunkt eingerichtet. Als Menschenkind durchlief ich eine überlange Betreuungszeit, wenn man die Zuwendung zum Nachwuchs in der übrigen Natur zum Vergleich nimmt. Es heisst, je mehr ein Lebewesen von seiner Umwelt einbezieht, desto mehr bringe es zum Ausdruck. Das bedeutet: Je mehr Intelligenz ein Lebewesen seiner Bedingtheit entsprechend aufweist, desto mehr Fürsorge benötigt es zu seinem Fortbestand. Die grössere Freiheit bedingt mehr Abhängigkeit von anderen, so widersprüchlich das klingt. Also hat das Leben alles Erdenkliche eingerichtet, damit diese gebündelte Intelligenz in menschlicher Form zur Welt kommt. Wir litten dauerhaft Hitzschläge, wäre dem menschlichen Schädel kein besonderes System angeboren, das die überschüssige Wärme ableitet. Aus planetarischer Sicht verkörpert das Leben die immer gleiche, jedoch unterschiedlich bedingte Intelligenz. Diese Gleichberechtigung gilt ebenso für Menschen unterschiedlicher Epochen und kultureller Abkunft, sodass es sich untersagt, irgendein Lebendiges gegenüber dem anderen als rückständig und somit als untergeordnet zu bewerten. Das Leben bildet Arten aus dank der Auslese, damit es irdische Räume besiedelt. Die Auslese ergibt sich aus einem Zusammenspiel von Absicht und Zufall. Die Evolution verallgemeinert den Zufall als universelles Naturgesetz. Dabei erklärt sie bloss, wie es kommt, dass das Leben sich in Arten ausfächert. Sie erklärt nicht das Leben an sich. Sie lässt unerklärt, warum es überhaupt Leben gibt. Jedoch greift die Auslese nur auf Lebensformen zu, die bereits zur Welt gekommen sind. Auf eine erste Regung von Leben nimmt die Auslese keinen Einfluss. Und diese erste Regung allein begründet die Annahme einer möglichen Absicht des Lebens zu seiner kosmischen Ausbreitung. Evolutionisten halten an der universellen Zufälligkeit aus guten Gründen fest: Wenn man dem Leben auch nur ansatzweise eine gewisse Absichtlichkeit zuspricht, so befürchten sie, der ganze faule Zauber von Glauben und Aberglauben, mit dem über Jahrhunderte Machtpolitik öffentlich wie privat betrieben wurde, finde so ein Schlupfloch zu einer siegreichen Rückkehr. Diese Sorge mag übertrieben anmuten, wie immer in der Geschichte. Wer dem Leben eine Absicht unterstellt, bemüht deshalb noch lange keinen biblischen Gott als alternative Erklärung. Mir reicht das Bild eines Lebens, das wie eine taubstumme Person sich vorantastend in Zeit und Raum ausbreitet.

Ein weiteres Argument für diese Sichtweise betont die Unmöglichkeit einer Erklärung dafür, wie es kommt, dass aus einem Urknall, der wie jede Explosion ein sinnloses Durcheinander bewirken muss, stattdessen eine Ordnung hervorgeht, wie das Leben offenkundig eine ist. Leben besetzt planetarische Räume, indem es zu Arten via Auslese verästelt wird. Seine Möglichkeiten zur Anpassung sind beinah grenzenlos. Da gibt es Lebensformen, die in Höhlen Schwefelsäure verarbeiten wie wir Sauerstoff. Die Annahme liegt also nahe, dass das Leben sich weiter ausbreitet. Über die planetarische Begrenztheit hinaus. Folglich benötigt es den Menschen zu seiner Abdrift vom Planeten, damit es den zahllosen Supernoven entflieht, die in Zeitraffer gedacht den gesamten Kosmos durchfunkeln. Das Leben hat Jahrmillionen Zeit dafür, aber es hat nicht alle Zeit der Welt. Es flutet Möglichkeitsräume, sobald sie sich öffnen. Für diese Abdrift sind Natur und Kultur notwendig, damit es zur Technik kommt, die erforderlich ist, aber auch zur nötigen Gesinnung dazu, die sich zur Ideologie zuspitzt, wie es im Wettstreit während des Kalten Krieges der Fall war, der erste Hüpfer zu dieser Abdrift gleichsam ausgeschwitzt hat. Alle Natur und alle Geschichte, jegliche Betriebsamkeit menschlichen Lebens erweist sich als eine unbewusste Sphäre, die im Dienst an der planetarischen Abdrift des Lebens steht. Beidem bin ich verpflichtet, der Natur wie der Kultur. Mein Leben lang. Unwillentlich trage ich folglich dazu bei, dass dem Leben seine Abdrift von diesem Planeten gelingt. Die Schuld, die ich auf mich ziehe, sowie die Verwundung, die ich erleide, erklären sich von dieser Zielsetzung her. Jede Religion, ob sie einen Gott verteidigt oder an eine Vielfalt höherer Wesen glaubt, jede Politik, ob sie Umverteilung befürwortet oder Wettbewerb grundsätzlich gutheisst, trägt mittelbar das Ihre zu dieser Abdrift bei. Auch unter Ideologien findet ein Wettstreit statt. Das Bekämpfen einer gegnerischen Ideologie erinnert an sonstige Kriegstreiberei auch in der Wortwahl: Da gibt es hieb- und stichfeste Argumente, ganze Schulen stellen ihre Fronten, angebliche Beweisführungen werden in der Luft zerpflückt. Ideologien schärfen sich im Widerstreit, spitzen sich zu. Aus diesem Widerstreit kommt es zu ersten Anstrengungen zur Abdrift. Also gehört der Werdegang der jeweiligen Ideologie, ebenso ihre Zuspitzungen im Kampf wesentlich notwendig zu diesem Weg des Lebens weg vom Planeten. Welche Grosskonzepte auch gerade zur Debatte stehen, wie erneut anlässlich des Krieges in der Ukraine die Spannung zwischen Tradition und Säkularisierung, sie alle, so die planetarische Sichtweise, leisten ihren Beitrag zur Abdrift des Lebens von der Erde. Aus planetarischer Sicht sind alle entsprechend zu würdigen, weshalb kein Grosskonzept dem anderen vorzuziehen ist. Das Interesse hält den Blick vielmehr darauf, wie solche Grosskonzepte Neues schaffen, indem sie sich bekämpfen oder teilweise miteinander verschmelzen. Ob diese Abdrift die Geschichte des Menschen ins richtige Licht rückt, beruht auf einer Lesart unter anderen, auf einer Deutung, die immer persönlich ist. Mehr nicht. Und ob sie irgendwann gelingen sollte, ist ein Glaube und kein Wissen. Diese Lesart wird entweder geteilt, bekämpft oder links liegen gelassen. Manche dürften sich an ihrer Grobheit stören. Etwa in der Art, wie einst der historische Materialismus ganze Generationen von Idealisten beleidigte, indem er ein Übermass an Geistigkeit übermässig ausglich. So gesehen könnte man die Lehre von der planetarischen Abdrift des Lebens als futuristischen Materialismus bezeichnen. Solche Abfolgen von Übermässigkeiten, die nie ohne Konflikte erfolgen, durchziehen Natur und Geschichte bis heute. Wir hielten uns für die Krone der Schöpfung, als wir im Schlamm krochen. Nun, in Wohlstand gebettet, erklären wir uns zu einem Fehler der Evolution. Beides dürfte falsch sein. Denn warum sollte die Natur sonst einwandfrei wirken, jedoch ausgerechnet bei uns Mensch danebengreifen? Ich gehöre einer Art an, die sich selbst beargwöhnt, als Ausgleich dafür, dass sie keine Fressfeinde mehr hat. Kritiker finden uns Menschen haltlos und gierig, während die übrige Natur in sich stimmig sein soll. Diese Ansicht ist weit verbreitet und tief eingeschrieben. Dabei fehlt ihr der nötige Überblick. Die Unbewusstheit, in der sie haftet, belegt aus planetarischer Sicht, dass sie im Fortgang des Lebens eine bestimmte Aufgabe inne hat. Wenn Murmeltiere sich balgen, finden wir das so wunderbar natürlich. Dabei richten sie Flurschaden an, indem sie an Ort bleiben, ohne die Arena ihrer Balgerei zu wechseln. Meeresschildkröten würden ganze Felder von Seegras ratzekahl weiden, gäbe es bestimmte Haie nicht, deren Gebiss sich eignet, ihren Panzer zu knacken. Jede Art verhält sich ausbeuterisch. Kritiker an der Menschheit beklagen besonders die Synthetik, zu der unsere Art befähigt ist. Wohlgemerkt ist sie das von Natur aus! Allerdings ist anzumerken, dass auch die Kritik daran von Natur aus erfolgt. Wie sonst? Dem technischen Ja steht ein moralisches Nein gegenüber. Beides ist planetarischen Ursprungs, beides hat eine Funktion auf dem Weg des Lebens hin zu seiner Abdrift, als hielte sie eine Balance, eine Art Steuerung mit Beschleunigung und Verlangsamung in Gang, damit die Dinge reifen. Zwei Kräfte, die etwas in der Waage zu halten scheinen, das für das Leben in seinem kosmischen Fortgang bedeutsam ist, eben nicht indem sie harmonieren, sondern einander zuwiderlaufen. Synthetik, das heisst: Wir filtern Kleinstbestandteile aus der Natur und bauen sie anders zusammen: Medikamente, Mikrorobotik. Leider handelt es sich dabei keineswegs um eine menschliche Besonderheit. Auch die Natur kennt Synthetik in der genannten Bestimmung: Ein Nestbau ist so gesehen die eigentlich unnatürliche Verschränkung reissfester Halme und flauschiger Stoffe. Ein Graulaupenvogel filtert Schneckenhäuschen aus der Umwelt, er häuft sie an zu seiner Balz. Honig ist deshalb synthetisch zu nennen, da er aus Pollen und körpereigenen Eiweissen von Bienen gemischt ist. Synthetik gehört zur Einheit der Natur. Für die problematische Sonderstellung des Menschen gibt es so kein Argument mehr. Das Dilemma liegt darin, dass wir einerseits den Menschen für problematisch halten, die übrige Natur aber als fehlerfrei hochloben, obgleich sie genau diesen Menschen so hervorgebracht hat, wie er sich eben benimmt zwischen Sonne und Mond. Beides geht nicht. Der Ausgleich von Selbstüberhöhung und Selbsterniedrigung hat offenkundig seine Richtigkeit. Solche Ausgleichsprozesse erweisen sich aus planetarischer Sicht als besondere Gangart des Lebens hin zu seiner Abdrift von der Erde. Im Verlaufe vergangener Jahrhunderte, während wir zu einer Gesellschaft fortschritten, die auf Versorgung durch Hochleistung setzt, fügten wir uns angebliche Kränkungen zu, für die etwa die Namen Kopernikus, Darwin, Freud und Einstein stehen. Diese Kränkungen sind Aufklärungen, weiter nichts. Planetarisch gesehen klären sie zunehmend die Welt, in der wir leben, sowie uns selbst, auch wenn sie kämpferisch und wohl überspitzt daherkommen. Das gehört zu ihrer Aufgabe als Ausgleich. Ansonst haben sie keinen besonderen moralischen Wert. Denn die Überhöhung, die empfindlich gekränkt wird, hält sich ebenso wenig als angebliche Wahrheit über die Welt. Das Böse ist aus planetarischer Sicht kein Geheimnis, sondern offenkundig einer besonderen Ökonomie des Lebens geschuldet, die darin besteht, dass es zur notwendigen Ernährung andere Lebewesen vorsieht, die sich zur Wehr setzen, verspeist zu werden, da es wie alles Lebendige um den eigenen Fortbestand besorgt ist, statt dass das Leben eigens Nahrung hervorbrächte, die einfach vorhanden wäre wie etwa Wasser zum Durst löschen. Man gewinnt den Eindruck, das Leben erwischte so zwei Fliegen mit einer Klatsche, indem es die Lebensformen sich gegenseitig verspeisen lässt, statt mit viel Aufwand Organismen und Nahrung getrennt voneinander hervorzubringen. Darin liegt eine bestmögliche Ökonomie, die wir mühelos verstehen. Das so genannt Böse hat also mit Gewalt zu tun, die einerseits daher rührt, dass Lebewesen ihre Nahrung zerkleinern müssen, damit sie zu körpereigenem Gewebe umgebaut wird. Andererseits bildet die Rohheit dieser Gewalt das Fluchtverhalten der Lebensform ab, die als Nahrung vorgesehen ist. Beispielhaft wird das am Reisszahn ersichtlich, der nach innen gebogen ist. Diese Gewalt wäre überflüssig, hätte die Natur die Nahrung als üppigen Schaum hervorgebracht, der wie Rost den Dingen anhaftete, ohne dass er auf Selbsterhalt bedacht wäre wie die Lebensformen, die ihn verspeisen. Die Mittel zu dieser Gewalt nützen freilich auch zur Verteidigung. Und seitdem die Neurobiologie klar gemacht hat, dass in jedem Akt der Gewalt, selbst im Angriff, etwas verteidigt wird, entlarvt sich das, was wir als Böses ansprechen, bloss als Hälfte der Wahrheit. Diese Einseitigkeit ist unhaltbar aus planetarischer Sicht.

Sie deckt sich mit einer kitschigen Auffassung von Leben, die aller Aufklärung spottet, da sie die Welt in ein Gutes und in ein Böses teilt. Diese Naivität ist zu überwinden. Demnach spielt Verteidigung beim Opfer eine Rolle, wie leicht einzusehen ist, aber auch aufseiten der Täterschaft. Ein Wolf, der aus Hunger oder für seine Nachkommen ein Reh tötet, reisst ein Lebewesen, das junge Buschbestände schändet, damit es am Leben bleibt. Diese natürliche Ökonomie wirkt bis in lebendige Vorgänge hinein, die wir als kulturelle Evolution ansprechen. Sie haben stark mit den Ausgleichsvorgängen zu tun, die erwähnt wurden. Zwar hüten sich Menschen, ihre Artgenossen zu verspeisen, obwohl es sie genauso nähren würde. Dafür bekämpfen sie die Gültigkeit von Ideologien, ob nun religiöser oder politischer Abkunft, bemühen sich, ganze Weltbilder mit Stumpf und Stiel auszurotten. Streit, Konflikte, Krieg dazwischen bringt das Leben auf diesem Weg voran, auch wenn wir darunter leiden. Auch wenn Kriege uns die Hölle bereiten, verbessern sie die Rechtlichkeit, den sozialen Austausch, leider auch das wirtschaftliche Auskommen jener, die an der Zerstörung verdienen. Friede ist anzustreben. Der Ruf nach immerwährendem Frieden erschallt seit Jahrhunderten. Offenkundig ohne Erfolg. Frieden führt zu einer Entfremdung unter Menschen, die anders leben, anders denken, was unweigerlich Hand in Hand geht mit einer Leidvergessenheit aus Zeiten des Krieges, die dazu führt, dass die Bereitschaft zu neuen Konflikten wächst. Es heisst, nur im Krieg wird die Leidfähigkeit des Gegners offensichtlich. Religionen und Ideologien stehen in einem Konflikt zueinander, der sich mit natürlichen Brutalitäten vergleichen lässt. Ihr Anspruch ist ebenso radikal und ausschliessend wie die Tötung von Lebewesen. Dazu kommt eine Schwerkraft der Gewohnheit, die grundstürzende Veränderungen befürchtet und eher tötet als untergeht, um diese abzuwenden. Man könnte sagen, die Ideologie beansprucht einen bestimmten Geltungsbereich, etwa in der Art, wie ein Stamm seine Fressgründe sichert. Durchkämmt eine fremde Horde diesen Bereich, wird sie brutalst attackiert, ob nun seinerseits aus Not vertrieben oder infolge sonstigen Mangels an Sicherheit und Rohstoffen. Geraten fremde Kleintiere in ihre Fänge, kastrieren sie sie oder köpfen sie und lassen sie angefressen liegen, auch wenn es sich um Artgenossen handelt. Unter solchem Druck bilden sich im Stamm die Hierarchien deutlicher aus. Die Leittiere beissen Untergebene an ihren Platz zurück, wenn sie in die Weite schweifen, oder sie verstossen sie ohne Erbarmen, sollten sie sich heimlich paaren. Unter menschlichen Weltbildern, Ideologien oder sonstigen grossspurigen Überzeugungen findet unter Druck Vergleichbares statt. Krieg als äusserster Konflikt bereitet uns die Hölle auf Erden. Manche Bürger des Westens schütteln den Kopf darüber, dass solche Barbareien noch immer möglich sind. Als läge es an ihnen, zu bestimmen, wann damit fertig sei. Leider zeigt sich im Rückblick, dass Krieg das Zusammenleben unter Menschen auffrischt, damit die nötigen Verbindungen in Frieden unter Menschen geschehen, die zur Abdrift von der Erde unentbehrlich sind. Kriege vergleichen sich mit Flächenbränden, die das vernetzte Leben in Wäldern komplett erneuert: Nach dem Dreissigjährigen Krieg legten sie das Völkerrecht zugrunde, nach dem Zweiten Weltkrieg die Soziale Marktwirtschaft und das Bretton-Woods-Finanzsystem. Auch die Entwicklung der Technik, die für die Abdrift des Lebens vom Planeten unverzichtbar ist, wird durch Krieg erheblich vorangebracht. Akku und Quarzuhr wurden eigens für die Raumfahrt entwickelt. Das vordergründig friedliche Unternehmen ging ausdrücklich aus dem feindlichen Wettbewerb zwischen Ost und West hervor. Konflikte sind voraussehbar, eine Art sozialer Brennstoff häuft sich an, bis ein Funke überspringt. Also müsste man zur Vermeidung von Frieden aufrufen, aber dies liefe unserer Wesensart völlig zuwider, worin immer diese bestehen soll. Alles in allem gilt für mich der Eindruck, dass wir weniger einem Zeitalter der Vernunft teilhaftig sind, das immer wieder scheitert. Eher scheint es der Fall zu sein, dass wir uns in einer spättierischen Phase menschlichen Lebens befinden, solange wir unsere Werte und besonders unsere Identität bis aufs Blut verteidigen. Zwar nutzt Leben diese Verbissenheit, setzt sie ein auf seinem Weg zur Abdrift, aber es lässt Identitäten verdampfen. Wie alles, was sicher gefügt erscheint. Das Leben pendelt zwischen Bruch und Bewahrung bestehender Ordnungen. Ich anerkenne beides als seine Gangarten, die immer wieder auftreten. Auch bejahe ich den Atem zwischen Gleichschaltung und Föderalisierung lebendiger Gemeinwesen, der das gesamte Leben durchzieht. Ganz besonders unsere Geschichte. Daher irritiert es nicht, wenn erneut Diktaturen auftreten. Je nach Bedrohungslage werden sie wohl immer wiederkehren. Herrscht Entmündigung, auch wider unser Herz und Verstand, etwa wie in Staaten, die unter Druck stehen, dann sollen gewisse Dinge schweigen, damit Anderes reift und sich ballt, bis es aufschäumt und endlich in sein Gegenteil verkehrt wird. Diktatur und Entmündigung bleiben Gangarten der Geschichte, solange die Politik wie bisher darauf abzielt, dass wir vor den Problemen anderer Gemeinwesen abgesichert sind. Bei zunehmender Dichte auf diesem Planeten drängt sich eine grundstürzende Veränderung auf, was das Geschäft der Politik sein soll: Von nun an muss es uns ganz besonders darum zu tun sein, wie wir es schaffen, dass sich andere Gemeinwesen vor uns sicher fühlen. Das eigentliche Geschäft von Politik ist der Umgang mit Freiheit über Rechte und Pflichten. Alle Rechtsteilnehmer gestehen sich Freiheiten zu und fordern Pflichten ein. Freiheit kann nur politische Bedeutung haben. Eine persönliche Freiheit, die uns gleichsam angeboren wäre, ergibt keinen Sinn, denn das wissenschaftliche Weltbild verbietet die Annahme, die Verkettung von Ursache und Wirkung, von Grund und Folge sei an irgendeinem kosmischen Punkt so unterbrochen, dass eine persönliche Freiheit wie ein Blitz aus dem Nichts möglich wäre. Diese Annahme wäre deckungsgleich mit dem Konzept von Gott, der selbst ursachlos Kausalketten in Gang bringt. Darin zeigt sich der hohe, eigentlich übermenschliche Anspruch der Moderne, dass wir unser Tun und Lassen verantworten, als hätten wir bestimmte Kausalketten ausgelöst, ohne dass wir selbst in der Art oder Unart unseres persönlichen Menschseins ursächlich bestimmt wären. Daher weigere ich mich, mein Leben persönlich zu nehmen. Zwar wird das von mir erwartet. Denn Freiheit nennt sich, was ich mit den Möglichkeiten anstelle, die mir gegeben sind. Freiheit bedeutet im modernen Sinne Wahlfreiheit. Sie liegt uns sehr am Herzen, aber letztlich deshalb, damit wir haftbar zu machen sind und zu Rechenschaft berufen vor anderen, notfalls vor Gericht. Nur so wird eine zentrale Gewalt überflüssig, die uns unmündig hält und über uns zum Rechten verfügt. Sie kommt in Natur und Kultur regelmässig vor. Als Angehöriger westlicher Kultur gehört es sich, dass ich eine Diktatur mit verhindere, indem ich mein Tun und Lassen verantworte. Das heisst, indem ich so tue, als beruhte mein Leben auf meiner persönlichen Wahl, auch wenn das nicht der Fall ist, wie dargelegt. Meine körperliche Verfasstheit, mein Erbe, sei es familiär bestimmt oder kulturell, meine Intelligenz, meine Prägungen, meine körperlichen wie psychischen Stärken wie Schwächen standen nie für mich zur Wahl. Also bin ich nicht dafür zu behaften wie auch niemand sonst für seine Bedingtheiten. Und sollte jemand mir Rechenschaft aufnötigen, werde ich diese Regel befolgen, die Angelegenheit aber nicht persönlich nehmen. Joseph Beuys anerkannte seine Mitschuld am Krieg, wies jedoch die Erwartung von sich, ein schlechtes Gewissen zu haben. Dies würde ihm den Elan rauben, den er benötigt, um an einer besseren Welt mitzuwirken. Es steht allen Menschen frei, dieses Argument für sich in Anspruch zu nehmen sowie für andere, wenn sie sie beurteilen.

Das wäre sehr wohl auch im Sinne dieses Künstlers. Im Gegensatz zu Politik betrifft Moral das private oder intime Leben einer Person. Vergleicht man die Moralen aller Welt und aller Zeiten, ergibt sich eine grundsätzliche Gemeinsamkeit, die sich von selbst versteht, etwa die Goldene Regel, sei sie als negative oder positive Aufforderung verfasst. Wie ein guter Mensch sich verhält, bestimmt sich in allen Kulturen zu beinah allen Zeiten gleich. Gut sein bedeutet immer, dass man Rücksicht auf andere nimmt, dass man handelt zu ihren Gunsten. Eine Religion ist als Garant und Vermittlerin dieses Anspruches überflüssig geworden. Umgekehrt zählt aus planetarischer Sicht die Anerkennung, dass Egoismus sowie Altruismus beides vollgültige Gangarten des Lebens sind, die sich nur scheinbar widersprechen. Für das Leben ist beides von Nutzen. Je nach Situation kommt das Leben egoistisch voran, oder eben altruistisch, wenn Lebewesen zusammenspannen. Etwa wenn Pilze das Wurzelwerk ganzer Wälder vernetzen und so Informationen verteilen, während sie dafür Zucker bekommen. Moralische Sprüche, wie «Überwinde dein Ego» erweisen sich planetarisch gesehen als Ausdruck eines beschränkten Weltbezugs, wie er für viele, wenn nicht für alle Akteure bezeichnend ist, die ungewollt an der planetarischen Abdrift des Lebens mitwirken. Der Altruismus, den ein menschliches Gemeinwesen über alles stellt, bedeutet eine Form von Egoismus auf Stufe seines Überlebens. Umgekehrt trifft es sachlich zu, wenn es den persönlichen Egoismus zugunsten des Altruismus verteufelt, gerade da er als eine Art Egoismus der Gruppe wirksam ist. Die einfachste Politik wäre die Rücksichtnahme darauf, dass letztlich alle Menschen einzig darauf bedacht sind, gute Gefühle zu erleben, Lust, Freude, Anerkennung, wie es die Neurobiologie als eine Art minimalster Moral uns zur Verfügung stellt, während wir um jeden Preis Todesangst vermeiden, die doch überall mitwirkt. Schuld, die wir, ob begründet oder nicht, einander aufbürden, wurzelt in Todesangst. Nach neuster Forschung bedeutet der Tod keine Gegenkraft zum Leben, sondern eine seiner vielfältigen Einrichtungen. Daher erweist er sich aus planetarischer Sicht weder als schlimmster Abgrund, noch als ein Werkzeug des Bösen. Der Tod gehört dem Leben, nicht umgekehrt. Denn es gab Leben, bevor es den Tod gab. Als alles mit allem in Austausch stand. Wie immer man sich diese ursprüngliche Verfasstheit von Leben vorzustellen hat, man gelangt unweigerlich zum Schluss, dass es einen bestmöglichen Weg einschlug, indem es den Tod einrichtete. Als Heimat nehme ich diesen ganzen Planeten in Anspruch und kein erbärmliches Stück davon, für das ich auch andere zu töten bereit wäre. Daher ist es völlig belanglos, wo genau ich sterben werde, wo und auch wann ich mich meiner planetarischen Schwere vollends ergebe. Die Angst vor Heimatlosigkeit ist das Gewohnheits-Tierische an mir, das immer wieder durchfunkt. Unser Vertrauen in den Tod hängt davon ab, ob wir dem Leben vertrauen. Was mich geboren hat, lässt mich sterben. Es ist die gleiche Instanz. Mehr noch, als vollständige Einzelform von Leben, mit Wachstum, Stoffwechsel und Fortpflanzung, habe ich Anteil an dieser Instanz. Inder sagen, das Leben verkörpere eine Art kosmisches Ursubjekt, mit dem ich wie alle jederzeit übereinstimme. Dahin sinke ich also zurück. Irgendwann. Zurück dahin, als alles mit allem in Austausch stand. Diese Herkunft in uns wird mir zum Zielpunkt meiner Sehnsucht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

(Dieser Überschuss lässt uns Menschen eine Virtualität (Serres) ausbilden, mit der wir genauso ernsthaft und täglich beschäftigt sind wie mit Belangen der Körperlichkeit, nämlich Religionen, Geometrie, Mathematik. Alles, was wir als geistige Tätigkeiten ansprechen, die wie Schaum der körperhaften Welt aufruht. Diese Virtualitäten stehen notwendig im Dienst am Leben zu seiner Abdrift vom Planeten. Religionen verbinden Menschen untereinander über Ehe und Familie hinaus sowie über Stämme und Nationen. Ihr Wirken lässt sich politisch beschreiben. Verbindung ist entscheidend, damit Kultur geschieht und so die Abdrift vom Planeten gelingt. Religionen und Ideologien bieten Orientierung einer überschäumenden Intelligenz der menschlichen Spezies, die zwischen Sonne und Mond in allseitiger Tiefe hängt. Menschliche Intelligenz bedarf naturgemäss eines sinnvollen Ganzen, das über sie hinaus gültig ist und ihr einen klaren Platz zuweist. Die so genannt virtuelle Welt des Internets erweist sich nach Religion und Ideologie als weitere Gangschaltung des Lebens, die für Verbindung unter Menschen sorgt und damit für Orientierung. Ein weiteres Stück Evolution. Mehr nicht.)