Die Schule zeigt sich von ihrer angeblich besten Seite: Musical, Zirkus, Workshops für Gross und Klein. Eine Öffentlichkeitsarbeit wird dargeboten, die das enorme Kerngeschäft zusätzlich belastet. Wo man originellerweise Bratwürste ausgibt, liegt ein Stück Brot am Boden. Völlig ausgehöhlt, nur die Rinde liegt noch da als unversehrter Ring. Man ärgert sich darüber. Missratene Kinder, einmal mehr. Ich schmunzle.
Wo man Listen mit messbaren Ansprüchen abarbeitet, damit der Anlass fehlerlos und daher vorwurfsfrei über die Bühne geht, wirkt ein völlig leergeklaubtes Stück Brot am Boden wie ein Makel, der den gesamten Anlass in Frage zieht. Jedenfalls fällt die Sache in der Art auf, wie etwa die Zeit, die verstreicht, bis das Toilettenpapier aufgefüllt oder glutenfreie Brötchen nachbestellt sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit tummeln sich unter den Besuchern Personen, die mit der Schule eine Rechnung offen haben. Gerne nehmen sie solche denkwürdigen Einzelheiten wie das ausgehöhlte Stück Brot zum Anlass, das gesamte Projekt abzuurteilen, ungeachtet der hochwahrscheinlichen Möglichkeit, dass dieser Makel weniger über die Qualität des Schulbetriebs aussagt, als über die Eltern des betreffenden Kindes. Diese Leute erlauben sich damit eine peinliche Ungenauigkeit und setzen gleich alles unter Druck. Ihretwegen rennt man mit diesen Listen herum. Schliesslich wollen alle abends möglichst vorwurfsfrei auf ihrem Heimsofa Platz nehmen.
Wer für Perfektion sorgt, geniesset ein ruhiges Leben. Das mag kurzfristig der Fall sein, täuscht aber, wie mir scheint, als Mittel für längerfristigen Vorteil. Denn ein perfekter Auftritt auf Gemeindestufe reizt sogar dazu an, dass man genau deswegen Fehler sucht und sicherlich welche findet.
Perfekte Menschen wirken ungewollt provokant.
Umso mehr sie sich ein Managergebaren anmassen, das auf dieser volkstümlichen Stufe zurecht als Überheblichkeit bekämpft wird. Ein ausgehöhltes Stück Brot am Boden dient dabei als willkommene Gelegenheit, obgleich es völlig ausgeschlossen ist, dass eine Schule das Essverhalten ihrer Kinder jederzeit unter Kontrolle hätte. Wer darauf deutet und urteilt, nicht einmal diese Kleinigkeit hätte die Schule im Griff, geht willkürlich, wenn nicht sogar bösartig vor. Aber das ficht kaum jemanden an.
Daher lohnt es sich, wenn man in seiner Aufgabe Schlagseite zeigt, statt mühevoll einen perfekten Anstrich aufrechtzuerhalten, wozu auch andere dauernd in die Pflicht zu nehmen sind, ob dir nun der Unterricht oder die Schulleitung anvertraut ist. Bei Fehler, zu denen jemand steht, entspannen sich die Leute. Als Menschen, denen immer wieder Fehler unterlaufen, fühlen sie sich eher verstanden und aufgehoben. Auch können sie sich die Mühe sparen, dass sie uns Beamte an Fehlern, die nebensächlich wären, zu sich auf Augenhöhe zwingen.
Das ist die Misere heutigen Arbeitens: Dass man sich weniger um der Sache willen verausgabt, als darum, keine Formfehler zu begehen. Aus guten Gründen, schliesslich hängen wir uns gegenseitig daran auf. So versteht es sich von selbst, wenn Personen ausbrennen.
Während ich meine Bratwurst zerkaue, betrachte ich belustigt dieses Stück Brot zu meinen Füssen und überlege mir, wie man die Sache anders betrachten könnte und unabhängig davon, dass es hier um eine Schule geht. Immerhin beschreibt Gottfried Keller Kinder, womöglich im Grünen Heinrich, die sich um die Brotrinde reissen, statt um die weiche Teigsubstanz zum Herauszuklauben.
Da hat sich doch etwas Wesentliches verändert. Das Essen unserer Kultur ist aus Rücksicht auf Armut und harte Arbeit hervorgegangen. Heute dürfte auch uns die Kenntnis abhandengekommen sein, dass Brotrinde nahrhafter ist. Die Armut ist dank Hochleistungsversorgung beseitigt, derzeit zumindest, sodass es, wenn wir essen, heute weniger darum geht, dass man sich etwas Nahrhaftes zuführt, das zu harter Arbeit befähigt wie etwa Suppen mit Fettaugen. Viel eher ist Essen zu einer blossen Befriedigung verkommen, wo Geschmack und Beschaffenheit wichtiger geworden sind als die Sättigung.
Das Brot am Boden verliert für mich seine Bedeutung zu möglicher Kritik.
Vielmehr erzählt es mir davon, dass die Dinge wunderbar veränderlich sind, ohne dass es uns bewusst wäre.
Juni 13, 2022 at 7:19 pm
#keineBrotloseKunst