Ideologie macht blind, sicher aber kurzsichtig. Wer sein Weltbild verbissen aufrechterhält, steckt irgendwann in einer Art Kokon fest, der ihn von einem Leben abschottet, das ohne Rücksicht darauf eigentlich nur Veränderung kennt.

Wenn die Ideologie es untersagt, dass ich genauer hinsehe, was in meiner Umwelt abgeht, nur damit sie vor Infragestellung abgesichert bleibt, wenn meine Ideologie zum blossen Selbsterhalt mir Ignoranz anbefiehlt, muss ich annehmen, dass mit der Ideologie, die ich verfechte, etwas nicht stimmen kann. Die Kardinäle, die Galilei prüften, begründeten ihre Weigerung, durch das Fernrohr zu blicken, damit, sie wüssten aus den Schätzen biblischer Überlieferung, wie die Dinge liegen. Spätestens dann, oder besser frühstens dann, wenn sich genaueres Hinsehen untersagt, muss man über die Bücher, was die eigene Ideologie anbetrifft. Genaueres Hinsehen ist eben risikobehaftet. Man könnte auf etwas stossen, das die Ideologie in Frage stellt.

Dazu ein Beispiel: Machiavelli wurde mir als düsterer Denker vorgestellt. Eigentlich ein Verbrecher, der mit seinem Leitprinzip, der Zweck heilige die Mittel, mehr geschadet als genützt habe. Seine Anhänger, Macchiavellisten genannt, kommen folgerichtig unter Managern und Machtpolitikern gehäuft vor. Zwar wird dieser Grundsatz Macchiavelli dem Wortlaut nach bloss zugeschrieben. Das ändert nichts daran, dass dieser Autor abstrichlos eine diktatorische Zentralgewalt befürwortet, die uns alle entmündigt. Für demokratisch gesinnte Gemüter ist das zweifelsohne schwer geniessbar. Bei den Lehrern, die damals Macchiavelli derart verteufelten, handelte es sich nur bedingt um Demokraten, sicher aber um spiritistische Pädagogen. Wie gewohnt mit wissenschaftlichem Anstrich, jedoch angehaucht von der Anthroposophie. Unter anderem predigten sie, Albert Schweitzer habe all das wettgemacht, was sein Vetter Sartre mit seiner Philosophie verbrochen hätte. Bei genauerem Hinsehen leuchtet mir persönlich sehr wohl ein, dass man im Paris der Jahre 1941 bis 44 zum Existenzialisten wird, der alle kriegstreibende Moral von Gottes Gnaden zu Boden ringt. Offensichtlich sind die näheren Umstände, unter denen Macchiavelli seine brutale Gesellschaftstheorie ausarbeitete, diesen Pädagogen damals nicht geläufig gewesen. An die Niederschrift dieses Konzepts jedenfalls war nicht sogleich zu denken, erst sollten Macchiavellis Handgelenke ausheilen. Schergen der Medici hatten zuvor den treuen Diener Macchiavelli die Hände auf den Rücken gebunden und den gesamten Menschen an den Handgelenken aufgehängt. Jemand hatte ihm den Beleg seines angeblichen Verrats untergeschoben. Wer Macchiavellis Denken düster findet und böse, sollte sich überlegen, was Menschen durch den Kopf geht, wenn sie derart gebunden an der Decke baumeln. Sie wünschen sich, dass jemand sich hier Zutritt verschafft, ohne erst die nötige Erlaubnis einzuholen oder Abklärungen zu treffen, falls etwaige Empfindlichkeiten erst zu besänftigen sind, und diesem Treiben mit wenigen Strichen und ohne Debatte und Wenn und Aber ein jähes Ende bereitet.

Macchiavellis Wunsch nach Sicherheit und Unversehrtheit durch blosse Herrschaftsgewalt entspringt der Sichtweise eines Opfers, nicht der eines Täters und Gewaltherrschers, der auf diesem Weg seine Schuld reinzuwaschen sucht. Es sind nämlich die Opfer, die es zulassen, dass aus geteiltem Leid, das immer schlechter zu ertragen ist, eine Führung erwächst, die den richtigen Weg allen vorschreibt. Und diese Führung wird, als wäre sie ein gemeinsamer Stachel, mit einem Gift zur Abwehr namens Faschismus vollgepumpt.

Diese feinsinnigen Lehrpersonen, die an mir wirkten als an ihrem Zögling, haben mir Sartre und eben Macchiavelli einseitig vermittelt. Als halbe Wahrheit. Also falsch. Eine schiere Peinlichkeit für Lehrkräfte mit diesem Anspruch zur Weltverbesserung.

Ihre Überzeugung, ihre Ideologie, ihr ganzes Weltbild und das Engagement, das damit einhergeht, machte sie blind für den Blick auf die ganze Situation, soweit sie Macchiavelli und die Theorie des Absolutismus anbetrifft.