Meinungsvielfalt überfordert manche. Gerade Populisten haben damit Mühe, denen wiederum Reformer am liebsten einen Maulkorb verpasst sehen würden. Offensichtlich fällt es schwer, in Meinungsvielfalt ein Grundrecht zu erkennen, das hart errungen wurde. Schlimmer wird es, wenn die Meinung obendrein geändert wird. Ein Meinungswechsel bedeutet Stärke wie Schwäche zugleich.
Meinungswechsel als Stärke betrifft Wissenschaft und Philosophie. Bei Platon sind Gesprächspartner schlichtweg Sturköpfe, wenn sie sich der sokratischen Führung verweigern. Sicher wäre er entsetzt über die Statutentreue heutiger politischer Parteien. Es wäre für ihn völlig unverständlich, dass man bei Meinungswechsel Freundschaften aufkündigt oder jemanden des Verrats bezichtigt. In der Wissenschaft gehört der Meinungswechsel zum täglichen Brot. Poppers ideale Vorstellung von Wissenschaft besagt, dass eine Meinung so lange Gültigkeit hat, bis sie widerlegt wird. Starre Wahrheiten sind Pfaffen vorbehalten und allenfalls Juristen. Irgendwann jedoch wird für Forscher der Meinungswechsel zu teuer, auch wenn die Daten ihn anbefehlen. So kommt es zu geschönten Ergebnissen. Der Wettbewerb um Geldtöpfe und Ansehen schadet der Wissenschaft. Ein Freund von mir, der Jugendliche unterrichtet, bekennt sich zur Kritischen Theorie. Nach dem Vorbild eines idealen Wissenschaftsbetriebs soll die Meinung sich ändern, sobald neue Informationen dazukommen. Mein Freund vertritt eine klare Meinung zu einzelnen Jugendlichen, die ihm anvertraut sind. Das kann sehr grob ausfallen. Kommt jedoch eine Beobachtung dazu, ein Bescheid zu dieser Person, dann passt er seine Meinung sogleich an. Im Guten wie im Schlechten.
In Religionen sind Meinungswechsel nicht vorgesehen. Jedes Bekenntnis wartet mit einer geschlossenen Theologie auf, die kein Wenn und Aber zulässt. Diese scheinbare Sturheit gehört wesentlich zur Aufgabe der Religion, dass sie Orientierung schafft. Und eine Orientierung macht keinen Sinn mehr, wenn Nord und Süd auf einmal die Plätze wechseln oder zusammenrücken. Ralf Dahrendorf erinnert an Erasmus von Rotterdam, der sich zu keiner Kirche bekannte, obgleich er von allen Seiten umworben wurde. So blieb er in der Lage, weiterhin frei zu denken. Dahrendorf nennt daher Erasmier Personen wie Karl Popper, Isiah Berlin und andere, die sich von keiner Ideologie vor den Karren spannen liessen.
So bewahren sie sich die Möglichkeit, ihre Meinung zu ändern, wann immer es ansteht.
Allerdings sind sie für andere womöglich unzuverlässige Partner, denn sie riechen nach Untreue, nach Verrat. Und sie eignen sich weder zum Angriff noch zum Widerstand. Die Meinung zu ändern, gilt manchen als Schwäche. Das kann nur bedeuten, dass sie sich in einer Art Kriegszustand befinden. Ideologien liegen im Streit miteinander. In Politik, Kirche und Wissenschaft gibt es Lehrmeinungen, die keinen fröhlichen Meinungswechsel dulden, da sie Druck ausüben und selbst unter Druck stehen. Von Mitstreitern wird Konsequenz gefordert, Schneid und Haltung. Eine Nibelungentreue soll das Bündnis kitten und absichern.
Daran bin ich nicht interessiert.
Wenn Ämter oder Politiker ihre Meinung ändern, spende ich Applaus, während das vielen sauer aufstösst. Eine Kollegialbehörde wie der Bundesrat kann nur dank Meinungswechsel funktionieren. Aus gutem Grund bleiben die Sitzungstüren verschlossen, denn so bekommt niemand mit, wie der eine oder andere Magistrat im Streit das Gesicht verliert. Meinetwegen dürften die Türen weit offenstehen. Ich zähle mich nicht zu den Bürgern, die eine Behörde nur dann ernst nehmen, wenn sie eine einheitliche Meinung vertritt. Eigentlich ein sehr unnatürlicher Zustand.
Ein Kalenderspruch von Brecht gibt zu bedenken, dass keineswegs B sagen müsse, wer A sagt. Wir könnten auch einsehen, dass A falsch ist. Ein Leben ohne Meinungsänderung kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. So gut es geht widersetze ich mich den Versuchungen der Unfreiheit, wie Dahrendorf es beschreibt.
Die Meinung über die Welt zu ändern, ihre Sachverhalte umzudeuten und umzuwerten, ist für uns Menschen womöglich der einzig gangbare Weg, der in eine Art Freiheit führt.
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