Jemand bereut einen Hauskauf, eine Ehe, ein Kind. Dinge, von denen man sich nur trennt, wenn man sein Leben moralisch ernsthaft beschädigt. Reue in dieser Grössenordnung bedeutet eine besondere Form der Marter. Bevor man jedoch darin versinkt, sollte man in dieser Angelegenheit Möglichkeiten für etwas mehr Selbstwertschätzung beachten.
Zum Beispiel eine Ehe mit Kind. Man hat Gründe dafür: Der berufliche Erfolg verleitet zur Gewissheit, man werde auch eine Familie mit Links verwalten. Die eigenen Eltern wünschen Enkelbestand, auch wenn sie das nur bedingt in Worten bekräftigen. Eheschliessung und Zeugung von Nachkommen, das wird das so gemacht, früher zumindest. Neuerdings steht Verlobung wieder hoch im Kurs. Der Staat benötigt Steuerzahler sowie Garanten der Altersvorsorge. Je nach dem ist es einer Karriere zuträglich, wenn der Betreffende mit Frau und Kind oder mit Mann und Kind aufwartet. Insgesamt sind das ernstzunehmende Beweggründe, solche Verpflichtungen einzugehen.
Eine Frau lässt zu, dass die Eltern ihr ein Haus beschaffen, der Kinder wegen, für die die Wohnung zu klein geworden sei. Ein Einfamilienhaus mit Umschwung und Garage, offene Küche, Minergie, alles unverschämt praktisch und preiswert eingerichtet. Die junge Mutter sieht den Hauptgrund, dass sie das zulässt, in der Möglichkeit, sich mit ihren Eltern nach Jahren voller Unstimmigkeit und Enttäuschung zu versöhnen, endlich mit ihnen an einem Strang zu ziehen. Dennoch fühlt sie sich sehr bald von diesem Projekt entfremdet. Und die Entfremdung nimmt bei ihr somatische Züge an.
Solchen Menschen ist in ihrem Hader kaum zu helfen. Sie verwünschen den damaligen Entscheid und die Gründe gleich mit. Nun hat zweifelsohne auch ihre Reue ganz bestimmte Gründe. Und es versteht sich, dass sie diese ernst nehmen. Allerdings sollten sie erwägen,
dass das Leben sie, wie uns alle, weiterhin mit Gründen versorgen wird.
Also ist damit zu rechnen, dass sie früher oder später ihre Reue bereuen werden. Was auch nur eine Reue ist.
Jedenfalls kann die Person diese Möglichkeit keineswegs ausschliessen, auch wenn sie in der Zukunft liegt. Folglich überblicken wir drei Zeitpunkte, bei denen jemand einen bestimmten Entscheid gutbegründet fällt, später diesen gleichfalls gutbegründet bereut und schliesslich wiederum aus guten Gründen die Reue zurücknimmt. Oder sie beibehält, nun aber aus Gründen, die neu dazugekommen sind oder die vorherigen abgelöst haben. Daher stellt sich die Frage: Warum soll ich die Gründe meiner Reue ernst nehmen, wenn ich einen Entscheid ablehne, den ich damals gutbegründet gefällt habe? Warum sollte ich mich jetzt ernst nehmen, wenn ich mir den nötigen Respekt in einer vergangenen Situation versage, bei der ich ebenfalls Gründe ernstgenommen und gegeneinander abgewogen habe?
Die Antwort dürfte klar sein: Man lernt eben dazu. Das klingt souverän. Fortschritt im Leben durch Lernen. Was aber, wenn das Leben einen dazu bringt, dass man Einsichten erneut erwägt, die man einst über Bord geworfen hat, in der Annahme, damit an Souveränität dazugewonnen zu haben? Auf jeden Fall erinnert das an keinen summativen Lernprozess, wie er in Portfolien beschworen wird. Im Übrigen fehlt die Gelassenheit, wenn die Reue tiefgreift und anhält. Es ist der Hader, das Leiden, das mich zu diesen Überlegungen führt. Mit folgendem Fazit:
Dass ich mich selbst ernst nehme als eine Person, die Gründe ernst nimmt. Auch wenn es nicht die gleichen Gründe sind. Und gewiss nicht die besten, denn wer sollte entscheiden, welches die besten sind? Und auch wenn Gründe verblassen in der Zeit. Dieser Respekt gilt genau deshalb, da ausschlaggebende Gründe sich ablösen.
Denn mein Entscheid, wie immer er zustande kommt und wie immer er ausfällt, bedeutet stets auch eine Bewegung des Lebens selbst.
Das sollte man als persönliche Entlastung begreifen. Das Leben selbst kommt mir nicht so engstirnig und kleinherzig vor, wenn es darum geht, den absolut bestmöglichen Entscheid zu fällen und keinen sonst. Längst könnte ich bereuen, als Pflegevater einer Familie zugelaufen zu sein, die mich unter anderem mit Küchendienst eindeckt und mir dadurch Zeit nimmt, meinen hochfliegenden Ideen nachzuhängen. Dem Leben selbst dürfte meine Reue schnuppe sein. Meine Ideen können auch anderswo unter anderen Vorzeichen zur Geltung kommen, wenn es denn sein soll. Hauptsache ich besorge den Haushalt für zwei Kinder mit, die dann das Ihre zum Leben beisteuern werden.
Das Leben kann solche Entscheide gelassener nehmen. Ihm steht auch mehr Zeit zur Verfügung als uns, wenn auch nicht alle Zeit der Welt. Diese Sichtweise würde bedeuten, das Leben als eine Person zu sehen, die sich wechselnden Umständen anpasst, mit der Absicht auf Selbsterhalt und Fortbestand. Die Ziele der einzelnen Lebensform sind die gleichen Ziele des Lebens überhaupt. Leider lässt sich nur das Wenigste am Leben mit Zufall vernünftig erklären. Diese so genannt teleologische Sicht auf das Leben lässt sich nur mit Argumenten beglaubigen. Von einer objektiven Wahrheit ist kaum die Rede.
Jedoch verhilft sie dazu, dass ich meine Entscheide, die mir zusetzen, gerade weil es zu kostspielig ist, sie zu widerrufen, in einen grösseren lebendigen Zusammenhang gebettet sehe, der mich persönlich entlastet.
Eingebunden bin ich in die Folgen meiner Entscheide, doch ich fühle mich frei darin, da diese Entscheide auch dem Leben gehören. Ein wahres Yoga wäre das:
Angeschirrt. Und doch frei.
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