Für Steven Kaiser und Freunde
Psychonauten erforschen ihr Inneres. Mit Selbstfindung hat das allerdings nichts zu tun. Wer darin Erfahrung hat, bestätigt mühelos, dass während dieser wunderbaren Irrfahrten in intimsten Ozeanen gar nichts Persönliches, rein gar nichts Individuelles zu finden ist. Dafür Allgemeines. Nämlich pure Natur. An sich selbst. Durch sich selbst. Mitten im Vollzug. Das wirft die Frage auf, was es denn nun mit dem freien Willen auf sich hat.
Der Reiz psychonautischer Übungen besteht in dem Vorteil, dass man vieles von dem, was in uns unerkannt abgeht, nutzbringend zu Gesicht bekommt. Dieser Nutzen aber ist nicht sofort klar. Viele erleben ihn eher als Gefahr, denn er besteht in einer Art Versachlichung unserer Person, die wir sonst als unangenehm empfinden. Sie kränkt uns sogar. Das kann besonders auf Menschen zutreffen, die Therapien durchlaufen. Sie sehen sich, wenn auch in sorgsamem Gespräch, auf bestimmte Kategorien von Menschenarten festgelegt: Borderliner! Narzisst! Exzentriker! Unter dieser Versachlichung fühlen wir ein persönliches Ich absterben, das in gewisser Weise noch gar nicht zu seinem Recht gekommen ist. Als hätte eine ganze Gesellschaft an uns ihren ungeduldigen Willen vollstreckt.
Diese Versachlichung erlöst hingegen andere aus Unklarheit.
Jahre lang kreisten sie um sich, nun haben sie endlich einen Ankerplatz gefunden: Ich bin Asperger! Ich bin ein Sensitiver! Und genau diesen Weg nimmt die Psychonautik, mit eben dieser Wirkung, allerdings ohne therapeutische Vorgaben. Die Versachlichung der eigenen Person wirkt nur dann als Erlösung, wenn jemand sich frei mit sich beschäftigt, wie es zum Beispiel Kinder tun. Oder eben Psychonauten. Das ist die einzige Erlösung, die mir menschenmöglich scheint. Die Versachlichung durch Psychonautik wertet nichts ab. Sie setzt uns auch keine Krone auf. Das Ergebnis dieser Versachlichung lautet ganz schlicht:
Ich bin Natur!
In einem weiteren Schritt: Ich bin eine kosmische Tatsache!
Und das sind letztendlich wir alle. Alles, was sich in mir ereignet, sind zugleich kosmische Ereignisse. Sachlichkeit setzt voraus, dass wir Abstand zu dem Objekt gewinnen, über das wir Klarheit erlangen möchten. Das Ich bekommt diesen Abstand zu sich selbst sonst nur über die Urteile anderer, mit denen wir leben. Da sind immer auch Verletzungen im Spiel oder eine Lobhudelei, die mehr verzerrt als nützt. Ein solcherart gezüchtetes Ich geht in der Psychonautik unter. Es erleidet einen gerechten Tod. Und davor fürchten sich viele. In der Psychonautik wird der tödliche Abstand zu sich selbst nicht durch Analyse erreicht, sondern als intime Erfahrung. Unser Bewusstsein ist feiner geschichtet, als wir es von Freud her für selbstverständlich halten. Psychonautik vergleicht sich mit einer Laterne, die in diese Schichten versinkt. Wenn diese Laterne das Ich sein soll oder das Bewusstsein, dann gewinnen wir ein neues Verständnis darüber.
Letztlich bleibt als Ich in der Psychonautik die blosse Faszination übrig. Und das reicht doch vollkommen.
Mit Descartes wäre zu sagen: Es fasziniert mich, also bin ich.
Niemand erzeugt Faszination aus sich heraus auf Knopfdruck oder mittels einer besonderen Atmung oder magischen Zuredens. Faszination widerfährt uns. Sie bildet eine wunderbare Einheit zwischen Selbst und Welt. Auch wenn wir über den Auslöser der Faszination hirngespinstig reden und uns Vieles einbilden, das uns fasziniert, wie vielleicht bei psychisch Kranken, so verbürgt Faszination unzweifelhaft meine Existenz. Denn dieses Ich, das fasziniert ist, bleibt bei aller nautischer Bewegung bestehen. Allenfalls im Schamanismus, wo alles Vertraute zerstückelt wird, geht auch dieses Ich kurzweilig mit unter. Es ist reines Staunen über die kosmische Welt, die auch in uns ist. Ein Staunen, wie wir es ohnehin schon kennen. Mehr nicht. Und auch nicht weniger. Der Eindruck einer gewissen Unsterblichkeit ist dabei unvermeidlich. Immerhin bedeutet das Ich eine Konstante, die all die Faszination über Zeiten hinweg zusammenfassend erinnert. Das heisst über all die Zelltode hinweg, die siebenjährig wiederkehren.
Aber das ist ein Eindruck, wohlgemerkt. Kein Wissen.
Gefühle, Regungen, Impulse, die wir nüchtern dem Ich als problematisch zurechnen, spielen sich nun abgetrennt wie vor ihm ab. Es fühlt sich an wie in einer Kapsel, in einer Loge oder im Kinogestühl. Psychonautik nutzt verschiedene Wege, um diese Erkundungen hinzubekommen. Meditation mit Samenmantras zum Beispiel, ob mit oder ohne toxische Beilhilfe. Es gibt Momente, wo man glaubt, in seine Träume zu blicken. Dazu ist kein Schlaf nötig, im Gegenteil. Das nüchterne Bewusstsein wird als Schub erfahren, der solche Prozesse beschleunigt, abbremst oder verstärkt. Im Gleichzug lässt sich kaum verhindern, dass man diesen Schub als etwas Natürliches erlebt, das uns eher zustösst, als dass wir es gezielt verursachten. Auch wie wir Formen sogleich deuten, sodass ein Traumgeschehen anfängt, wird als Regung der Natur in uns erlebt, die wie von aussen kommt. Bei starker See werden die bildhaften Formen lebhaft, die wir bei geschlossenen Augen wahrnehmen. Dennoch deuten wir sie derart rasch, dass daraus im Wimpernschlag traumartige Sachverhalte entstehen. Ein Psychonaut blickt unmittelbar in seine Traumarbeit. Die neuronale Lebhaftigkeit der Formen bewirkt den surrealen Gehalt dieser Deutungen. Und irgendwann lehnt man sich zurück und erkennt:
Die Traumarbeit läuft in mir ab. Einfach so. Ohne mein Dazutun.
Als ein Stück Natur in mir.
Jeder Bewusstseinsschub, wenn wir uns konzentrieren, zusammennehmen, oder eine Idee bewusst ausführen, scheint von einem Impuls ausgelöst, der von tiefer herrührt, sich jedoch im Vollzug erahnen lässt. Die Neurobiologie beschreibt eben solche Ablaufsketten in allen Einzelheiten. Zum Leidwesen einer abendländischen Kultur, die Freiheit dringend braucht, aber gewiss nicht zugunsten unserer Wohlfahrt, zumindest nicht unmittelbar, sondern damit wir über die Freiheit Einzelner ebenso unsere Verantwortung und unsere Haftbarkeit garantiert bekommen. Grundrechte und Grundpflichten sind politische Spielregeln, mehr nicht. Das wissenschaftliche Weltbild, nach dem alles ursächlich miteinander verkettet ist, widerspricht unzweifelhaft, meist aber ungern genannt, dass Freiheit, die immer Wahlfreiheit ist, eine Person voraussetzt, die ihre Entscheide bar aller Einflüsse fällt, damit sie sich darauf behaften lässt.
Als wäre sie ein Gott, der aus dem Nichts heraus als erster Urheber Verbindliches schafft, indem er Ketten auslöst, die ursächlich miteinander verbunden sind.
Eine persönliche Entscheidung bar jeden Einflusses gibt es nicht. Sie wäre lebensfremd. Und wer es von sich behauptete, er wähle seine Möglichkeiten aus ureigenster Quelle heraus, glasklar und rein von jeder Fremdbestimmung, der müsste glaubhaft bestätigen, er habe den Impuls zu einer Entscheidung, zu einer rechtzeitigen Erinnerung an eine bestimmte Dringlichkeit eigenhändig ausgelöst. Aber das kann er nicht. Dann wäre er auf die Erinnerung angewiesen, die einfach auftaucht, um ihn zu ermahnen, den Impuls zur Erinnerung an eine bestimmte Dringlichkeit erst auszulösen. Völlig unsinnig wäre schliesslich die Annahme, wir könnten ein Aha-Erlebnis vorweg willentlich verursachen. Eher verhält es sich so, dass es uns zustösst.
Folglich steht bei dem Ganzen auf dem Spiel, was wir als freien Willen ansprechen. Da mag einem Kant in den Sinn kommen. Sein Konzept des freien Willens hat ausschliesslich politische Bedeutung, es betrifft folglich die Art, wie wir zusammenleben und hat nichts zu tun mit irgendetwas, das sich in uns abspielt. Freiheit bedeutet durchwegs Wahlfreiheit. Das hat zur Folge, dass wir über die Möglichkeiten, die uns gegeben sind, zweckmässig Bescheid wissen müssen.
Es geht also um Einsichten, Erkenntnisse, Einfälle, Aha-Momente, die zur Vollstreckung eines so genannt freien Willens unentbehrlich sind. Auch Erinnerungen an Lehrstücke gehören dazu. Sie springen uns bei, wenn man unter Druck gerät. Zusammenfassend könnte man von Impulsen sprechen, die uns in den Sinn kommen. Dazu ein einfaches Beispiel: Eine Psychonautin verreist für eine Woche, sie füllt spät abends die Waschmaschine und gönnt sich in den Stunden des Waschgangs eine nautische Sitzung mit hauseigenen Mitteln. Erfahrungsgemäss verändert sich das Zeitgefühl. Und während sie driftet, taucht beinahe verlangsamt wie aus dem Nebel die Erinnerung an die Dringlichkeit auf, die feuchte Wäsche in den Tumbler zu packen. Wichtig dabei ist:
Diese Erinnerung taucht einfach auf. Ohne ihr Dazutun. Die Psychonautin kann von sich unmöglich behaupten, sie hätte diese Erinnerung bewusst veranlasst.
Die Erinnerung hätte, wie bei vielen anderen, ebenso gut ausbleiben können, dann wäre die Wäsche in der Trommel vergammelt. An diesem Punkt drängt sich ein sozialer Vorzug der Psychonautik auf, nämlich dass man zwangsläufig bescheiden wird, wenn es darum geht, das Verhalten anderer zu beurteilen. Was immer Erinnerungen, Einsichten, Aha-Erlebnisse auslöst, bleibt unserer Kontrolle entzogen. Wir regulieren weder Zeitpunkt noch Stärke ihres Auftretens. Strenggenommen wären wir nicht darauf zu behaften, aber die Gesellschaft kann darauf keine Rücksicht nehmen. Die Neurowissenschaft zeigt uns dieses Davor auf, das dem Impuls vorangeht, der als Erinnerung, als Einsicht oder als Ahnung in unser Gedächtnis tritt. Dieses Wissen ist also nicht neu. Es beschreibt den Sachverhalt gleichsam von aussen, während Psychonautik dazu die innere Erfahrung vermittelt. Dieses Auftauchen geschieht ohne unser Dazutun. Neurobiologisch gesehen funkt es immer aus tieferen Schichten herauf, sei es aus dem Klein- oder Stammhirn, bis sogar ins Rückenmark hinein, das ein Psychonaut einmal als ein Tier in sich beschrieb, als ein Reptil.
Das Einsehen, das nötig ist, damit wir etwas bewusst ausführen oder bewusst vermeiden, wird veranlasst. Nicht von uns, aber, da es in tieferen Schichten bis zum Rückenmark zu suchen ist, unmittelbar von der Natur oder vom Leben selbst.
Das Leben, das wir sind.
Kommentar verfassen