Sogar in einem Taxi erwartet dich völlig unerwartet ein Stück Welt. Unverhofft, wie so oft. Etwa wenn der Fahrer einer Religion angehört, die ich für ausgestorben hielt. Eine fremde Welt, mag sein. Sie gehört jedoch mit zu dem Planeten, den wir alle bewohnen.
Nach feuchtfröhlicher Runde, als ich den Zug nach Stein am Rhein abermals verpasste, gönnte ich mir in Ermangelung anderer Möglichkeiten eine Taxifahrt, mit dem strikten Vorsatz, die Fahrt ausgiebig zu geniessen. Wie es sich gehört, peilte ich die Spitze der Taxikolonne an, die am Bahnhof Winterthur aufgereiht warteten. Der Fahrer, ein Mann meines Alters, hiess mich freundlich, aber mit arg gebrochenem Deutsch willkommen, sodass ich besorgt war, womöglich abgezockt zu werden, schliesslich brauchen Menschen Geld, gerade jetzt in der Krise, und ich wusste nicht, da ich kein Auto fahre, wie man am schnellsten an mein Ziel gelangte. Allerdings fehlte mir der Mut, jetzt abzuwinken. Es wäre für beide peinlich geworden. Also schickte ich mich in das Unabwendbare. Mein Sicherheitsgurt liess sich nur mühevoll einrasten, der Fahrer fingerte hinein, vielleicht aus der Angst, ich könnte die Nerven verlieren und wieder aussteigen. Es gelang. Und schon streiften Lichter und Bilder leichten Schneetreibens an mir vorbei. Zweihundert Franken hätte bei mir. Der Fahrer schätzte verhalten, dass es wohl genüge, während ich ihm unterstellte, er überlege sich jetzt eine Umfahrung, da ihm das fette Budget bekannt war. Ausgangs Winterthur Nord ergab ich mich, wie ein gestilltes Kind im Tragetuch, einem behaglichen Dösen, bei dem sich Wirklichkeit und Träume so wunderbar vermischten. Mein Fahrer jedoch schien etwas von mir zu wollen, vielleicht reden, was mir lästig wäre, aber als ich ihn an der Navigation herumtippen sah, verstand ich, dass er wünschte, ich möge ihm das Ziel buchstabieren. Erst glaubte ich mich auf einem Höllenritt ins Abseits, erkannte dann aber, so schnell es eben ging, dass der Mann es richtig machen wollte. Die Sache gelang, und ich ergab mich erneut meiner wohligen Schwere.
So genoss ich behaglich gebettet das kurze Autobahnstück, die Warntafeln, die auftauchten, die vorbeiströmenden Scheinwerfer und die roten Lichter, die vor uns in der Dunkelheit schwankten, in der Annahme, Taxifahrer fühlten sich geehrt, wenn ihre Gäste schlummerten, sie nähmen es gewiss als Zeichen des Vertrauens. Der Funk knackte, jemand meldete sich, der Fahrer antwortete gereizt. Das störte mich zwar nicht, aber es beförderte einen Gedanken durch meine berauschten Hirnschichten, sodass ich, als er endlich ankam, beinahe aufschreckte: Ich hatte keine Ahnung, wie lange der Fahrer schon auf Schicht war, ob er mit seiner Müdigkeit kämpfte, ob sein Geschäft am Vortag schlecht gelaufen war und er noch dringend Geld verdienen musste, während ich, borniert und verwöhnt, einfach zwei Hunderter hinblätterte und es mir neben ihm bequem machte. An weiteren Genuss war jetzt nicht mehr zu denken. Etwas drängte mich, dass ich mich dem Fahrer zuwandte, und also fragte ich ihn, woher er käme. Die Antwort machte mich schlagartig nüchtern:
Aus Syrien.
Erst vor über einem Jahr sei er in die Schweiz gekommen. Demnach hatte er diese Hölle über Jahre miterlebt. Die Bilder kamen mir sofort, die gemarterten Finger der Folteropfer, das Mädchen auf der Balkanroute, gefolgt von Erinnerungen, etwa der Syrer Bub mit Gewalterfahrung, dem ich die Hand so fest drückte, wie es nur ging, ohne dass er auch nur mit der Wimper zuckte, während Schweizer Kinder dabei aufschreiend zu Boden gehen. Dann die Verhältnisse dort, der Kampf um Erdgas, die Todesfeindschaft zwischen den islamischen Bekenntnissen, das Eingreifen der Grossmächte, Russland, um seine weltpolitische Rolle und seinen Einfluss am Schwarzen Meer zu stärken, die USA, damit sie in dieser rohstoffreichen Gegend präsent blieben. Ich fragte nach, der Fahrer erklärte wohl in allen Einzelheiten, allerdings verstand ich wenig davon, ausser dass meine Sichtweise auf die dortige Lage notwendig viel zu grob war. Das Gespräch rollte irgendwie ab, genau wie das Taxi auf der Landstrasse nach Stammheim.
Schliesslich erkundigte ich mich nach seiner Religion. Er sei Angehöriger der Gemeinde um Zoroaster, also Zarathustra. Ich jauchzte beinahe auf. Ein Siegesrest meiner beschwipsten Duselei, die nach Lorbeeren griff. Doch der Funke sprang über. Auf Anhieb war mir klar, dass er den persischen Zarathustra meinte, der Urgründer aller Religionen, die an einem Gott festhalten und nicht an vielen, wobei das Gute am Jüngsten Gericht siegen werde und so fort. Gewiss nicht war es der Zarathustra Nietzsches, dessen gleichnamiges Buch strenggenommen «Also sprach Nietzsche» heissen müsste. Die Freude war gross. Omar, so hiess mein Fahrer, lobte mich, ich sei der Erste hier in Europa, der so genau darüber Bescheid wisse. Und das ehrte mich. Und das teilte ich ihm mit. Und das freute ihn und seine Freude sprang wieder auf mich zurück. Am Schluss händigte er mir den Flyer zu einem Geschäft aus, das er oder ein Freund von ihm offensichtlich zu gründen im Begriff war, aber ich verstand gar nichts davon. Stattdessen gab ich ihm meinen Namen und meine Nummer. Beim Abschied reichten wir uns dreimal die Hand. Trotz Corona.
Leider habe ich bisher nichts von ihm gehört.
Mai 9, 2022 at 7:21 am
Wunderbare Geschichte! Ich kenne die Zoroastrier aus dem Iran, bin von Isfahan aus in die Wüste zu ihrem Feuertempel gefahren. Erstaunliches Völkchen, immer unter Druck, schlecht und recht geduldet.