Gerade jetzt, wo bei mir eine Leidenschaft für alternative Theorien heranreift, stellt die Regierung die baldige Aufhebung lästiger Massnahmen in Aussicht. Damit wird der Streit im Volk verrauchen, doch die Frage, wie wir miteinander umgehen, stellt sich weiterhin. Auch überlege ich mir, wie ich mit dem schlimmstmöglichen Fall umginge, sofern dieser denn einträte, wie er alternativ zu Corona verlautet wird. In beiden Fällen hängt der Friede davon ab, ob wir Natur und Mensch getrennt sehen oder als Einheit.

Verständlich, wenn man von diesen Themen nichts mehr hören will. Seit wenigen Tagen scheint diesen Debatten rund um Corona wie der Hahn abgedreht. Immerhin ist bereits von Turboausstieg die Rede. Undenkbar jedoch, dass Corona-Skeptiker nun von ihren Theorien liessen. Das beruht keineswegs auf Sturheit, sondern darauf, dass niemand von uns Überzeugungen einfach so aufgibt, wenn er sie über Jahre geteilt und gepflegt hat. Vor allem hat er ganz bestimmte Gründe, die eine Geschichte der anderen vorzuziehen.

Und diese Gründe sind in sein persönliches Leben gleichsam eingepflanzt.

Das gilt auch für jene, die sich entschieden haben, öffentlicher Darstellungen bezüglich Corona zu folgen, wie sie es immer getan haben. Meine Eltern gehören dazu. Sie wuchsen im Nachhall des Zweiten Weltkriegs auf. Zu jener Zeit galt es als Pflicht aus der Sache heraus, dass man der Regierung glaubt. Auf beiden Seiten befolgen wir also bewährte Rezepte, sie sind lediglich verschieden. Das belegt auch, warum gewisse Argumente ungehört verhallen. Wir haben vorweg uns für eine Seite entschieden, da können Corona-Skeptiker sich noch so entrüsten, wir schliefen brav weiter. Ein Argument, dafür wie dagegen, mag noch so schlüssig daherkommen und stichfest, es prallt an diesem Grundsatzentscheid ab. Das passiert auf beiden Seiten. Wenn man Natur und Mensch getrennt sieht, geht es bei der Pandemie ganz klar um Pech oder Versagen, um Wahrheit und Lüge, um Trotz und Rache.

Vor allem geht es um Schuld. Keine Freiheit ohne Schuld.

Keine Freiheit von der Natur ohne Verantwortung, ohne Schuld vor der Umwelt.

Dabei spielt keine Rolle, ob wir die Grossseuche als Panne verstehen oder als Projekt mit verdeckten Absichten und Zielsetzungen. Man ärgert sich über Andersdenkende, da sie offensichtlich den falschen Weg befürworten. Wir nehmen sie als Unruhestifter wahr, in einer Zeit, da die Nerven rascher blank liegen als sonst. Streit, Trotz, Unterstellung, Verweigerung, bissige Überzeugung gelten demnach als störende Begleiterscheinung der Pandemie. Dann hört man, dass kein Fall einer Grossseuche anders verlaufen wäre. Auch bei Pocken gab es Impfverweigerer, die den Hass anderer auf sich zogen. Auch die Spanische Grippe schürte alternative Theorien. Das legt nahe, die Seuche im Blick der Einheit von Mensch und Natur zu betrachten. Dann kippt das gesamte Bild von einem Lidschlag auf den anderen:

Rache, Abweichung, Verschwörungsthesen, Streit, Verweigerung, dies alles gehört dann mit zur Natur der Pandemie.

Der ganze lästige Zirkus ist ihre Natur.

Ob das stimmt, weiss ich nicht. Wahrheit in dieser Grössenordnung bleibt Vermutung. Die Sichtweise von der Einheit jedoch stiftet eher Frieden. Genauso verhält es sich, wenn ich mir überlege, wie ich das schlimmstmögliche Szenario bewerten würde, das von Corona-Skeptikern im äussersten Flügel für Tatsache genommen wird. Unter Vorbehalt einer strikten Trennung zwischen Natur und Mensch wäre ich das Opfer einer Minderheit, die mit privilegierten Mitteln aus dem Hinterhalt ein Ausleseverfahren, sprich einen Völkermord unter den Menschenmassen durchführt, die sie gemessen an planetarischen Verhältnissen für überzählig und daher für brandgefährlich einstuft. In einer weichgespülten Variante wäre dieser hochanständigen Elite immerhin, oder schlimmer noch, ein Pflichtbewusstsein zu unterstellen und folglich ein schlechtes Gewissen, das sie während der Krise ab und zu schlecht schlafen lässt. Aber das änderte nichts an der Tragweite ihres Verbrechens. Dann würde ich mich in Grund und Boden schämen, sollte ich selbst verschont geblieben sein, denn man hätte mich zurecht als Schläfer beargwöhnt, ich würde Gerechtigkeit einfordern, wahrscheinlich ohne Erfolg und daher lebenslänglich einer Depression verfallen. Vor allem würde der Hass unter Massnahmebefürwortern und ihren Gegnern weiterschwelen. In diesem Fall, da eine ominöse Elite, seien es Freimaurer oder Weltjuden oder Grösstunternehmer, ihren Plan heimlich zum Erfolg geführt hätte, käme ich zum Schluss, die Annahme von der Einheit zwischen Mensch und Natur vorausgesetzt, dass das Leben dies genau so zugelassen hat.

Denn die Einheit fordert, dass alles, was als Natur und Kultur geschieht, im Dienst des Lebens steht, so amoralisch und gesetzbrüchig es auch vorgehen mag. Diese Elite wäre dann Mittel des Lebens gewesen, den Gesamtorganismus Menschheit, dem Fressfeinde abhandengekommen sind, auf diese heimtückische Weise so zu beschränken, dass ein natürliches Gleichgewicht wieder gewährleistet sein wird. In diesem Fall wäre es ohne Belang, wer genau die Vollstrecker sind. Wir halten unsere Planungen für bewusste Konstrukte, die der Natur enthoben sind. Sie haben Aktionen aus Vorsatz zur Folge, mit anschliessender Korrektur, da die Umsetzung schwierig ist. Das entspricht der Sichtweise der Trennung von Mensch und Natur. Fassen wir jedoch alle möglichen bewussten Planungen als kulturelle Evolution zusammen, so erscheinen sie darin eher als verlangsamte Reflexe.

So könnte ich damit leben. Als Opfer zwar, jedoch bloss im Sinne eines Stoffes, der im Reagenzglas ausgedünnt wird.

Daraus folgt: Kein Streit, keine Scham, keine Depression.

Nur ein Blick in den Abendhimmel wie zuvor.

Und ein Zug feinbitteren Tabaks.