Letzte Woche gedachte man der Befreiung von Ausschwitz zum 77sten Mal. Die Leugnung des Holocaust sprich der Shoa spielt auch eine Rolle in alternativen Corona-Theorien, die ein Weltjudentum am Werk sehen. Leugnen lässt sich dieses Ereignis sehr wohl, wie alles, was Tatsache ist. Zu seiner Belegung ist keine einzige Opferaussage nötig, so leid es mir tut. Die Täter selbst sorgen dafür.
Genau genommen wird mit dieser Leugnung eine bestimmte Tötungsart bestritten, nicht aber die Tatsache, dass Millionen von jüdischen Zivilisten in Lagern planmässig zu Tode gekommen sind. Diese Tatsache sollte eigentlich als historisches Mahnmal ausreichen. Allerdings verunschärft sich dadurch der Unterschied zu Volksmorden unter Stalins Federführung. Zwei Merkmale heben die Shoa oder den Holocaust davon ab: Es sind die beiden bürgerlichen Tugenden, nämlich Bürokratie und industrielle Rationalisierung, die massgeblich den Fortschritt beschleunigten, sich aber gerade in ihrer beispiellosen Wirksamkeit durch die Shoa zur blanken Schande verkehrten. Die Nazis jedenfalls standen vor der Schwierigkeit, die Massen an Juden loszuwerden, die aufgrund ihrer Vertreibungspolitik ganz Europa verstopften und so den Erhalt von Frieden, Versorgung und Sicherheit hinter den Frontlinien im Osten gefährdeten. Diese Massen zu beseitigen, erforderte eine Lösung, die bis anhin beispiellos war. Es mag zynisch anmuten, wenn am Ende tatsächlich ein Schädlingsbekämpfungsmittel zum Einsatz kommt. Kein Geringerer als Himmler persönlich gab seine Stimme her, mit der er um Verständnis für den belasteten Vernichtungstäter warb. Seine Rede wurde auf Wachsplatten vervielfältigt und vor Reihen der Schutzstaffel in allen Besatzungsgebieten abgespielt. Das belegt die Dringlichkeit seiner Botschaft. Interessanterweise lassen die meisten Holocaustleugner dieses Dokument unbeachtet. Himmler bescheinigt dem härtesten Schergen eine Nervenschwäche, wenn er stundenlang jüdische Kinder erschiesst. Denn jemand müsse es tun. Aus Pflicht vor den Nachkommen aller Deutschen, die sonst jüdischer Vergeltung zum Opfer fallen. Daraus folgt:
Die Nazis suchten nach einer Tötungsart, die Täter entlastet.
Nun suche man selbst nach Möglichkeiten. Aushungern? Ertränken? Verbrennen? Keine dieser Methode garantiert Schonung der Täterschaft. Das Ausschlussverfahren wird notwendig bei so etwas wie Vergasen ankommen. Denn immerhin sind einige Millionen von Menschen innert Frist zu vernichten. Das Reich steht unter Druck: Die Operationen vor Moskau sind ins Stocken geraten. Obendrein hat man den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt. Was ich hier erzähle, wäre eigentlich historischer Allgemeinplatz. Die Argumentationslinie scheint jedoch unter Shoa-Leugnern zu wenig bekannt. Über die Organisation der so genannten Endlösung gibt das Protokoll der Wannseekonferenz Auskunft, dieses gilt jedoch unter Neonazis als Fälschung. Nur schon der Umstand, dass eine Prüfung der Echtheit des einzig überlieferten Exemplars amtlich verweigert wird, gilt ihnen schon als Beleg, sicher aber als ein Indiz dafür, dass das Papier gefälscht sei. Dabei wird nur schon das Ansinnen einer solchen Prüfung als unzumutbar für die Überlebenden und deren Nachkommen wahrgenommen. Die Argumente für eine Fälschung sind in akribischer Aufbereitung greifbar. Ebenso akribisch geraten diese Argumente unter das Messer von Historikern. Leider bin ich derzeit ausserstande, diese Texte in den nötigen Einzelheiten abzuarbeiten. Aber ich bekenne an dieser Stelle, ich bin froh um den Einsatz dieser Fachleute. Das zeigt auch, dass ich vorweg entschieden habe, welcher Seite ich Glauben schenke. Als Historiker besteht da für mich ohnehin keine Wahl. Dieser Punkt erscheint mir wichtig besonders im Hinblick auf die Zerstrittenheit während der Pandemie: Wir wählen nicht nach der Schlüssigkeit von Argumenten, sondern nach dem Narrativ unseres bisherigen Lebens. Ein Weltbild mit einer Wannseekonferenz als Erfindung, mit einer Shoa als Lügengespinst der Aliierten zur Disziplinierung eines brandgefährlichen Germanentums überfordert mein Selbstverständnis. Eine Art biografischer Ökonomie verweigert diese Umwertung. So ergeht es vielen. So ergeht es auch vielen, die befürchten, Deutschland werde zu Tode moralisiert. Für sie ist die Fälschung überlebenswichtig. Auch das will ich hier betonen. Denn auch Reichsbürger oder Neonazis befolgen eine biografische Ökonomie, von der wir nichts wissen wollen.
Dennoch argumentiere ich: Wäre das Wannseeprotokoll eine Fälschung, dann hätte nur die Wirklichkeit diesen Text erfinden können. Die formalen Mängel und zeitlichen Unstimmigkeiten gelten als Beleg für die Falschheit, sie lassen sich jedoch spielend anders deuten. Wichtig aber scheint mir, dass uns das Protokoll die Erklärung dafür schuldig bleibt, was die Sonderbehandlung genau bedeutet. Hätte jemand den Deutschen dieses Verbrechen unterschieben wollen, hätte er nicht nur die Formalitäten genau erfüllt, sondern Eichmann in seinem pflichtbewussten Eifer in allen Einzelheiten ausführen lassen, wie die Sonderbehandlung abgehen soll: Man nehme eine Garage, schlage ein Loch ins Dach und dichte alles ab, man besorge Zyklon B und so weiter. Das Gegenteil ist der Fall. Davon kein Wort. Das Protokoll vermeidet jede genauere Ausführung zur Sonderbehandlung. Mir leuchtet eher ein, dass die Beteiligten sich ihrer Entscheidung als historisch beispielloser Grenzüberschreitung sehr wohl bewusst waren.
Die Corona-Leugner täten gut daran, den Holocaust für Tatsache zu nehmen. Denn so wäre es ihnen möglich, ihre schwer zumutbare Theorie von der Dezimierung der gesamten Menschheit durch eine Elite mit dem Hinweis zu stützen, dass auch die Shoa zunächst undenkbar war.
Und in beiden Fällen wären es mittelständische Familienväter mit überdurchschnittlichem Bildungsgrad, die aus Pflichtbewusstsein einen Völkermord organisierten.
Ein miserables Schlusswort, aber ein besseres fällt mir nicht ein.
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