Natur entdeckt man nicht nur im Wald oder im Garten, sondern auch im Aufmarschgebiet zu Bahnhöfen. Dort bekommen wir zwar keine Blümchen zu sehen und keine Tierchen, dafür weggeworfene Kaugummis.
Auch hinter dem Bundeshaus meine ich Flecken von solchen Kaugummis auszumachen, die Passanten zu kleinen Sternenhimmeln in den Asphalt pressen. Beim Näherkommen sehe ich, es ist ein frisch gefertigter Bodenbelag, der diesen Kaugummigalaxien nachempfunden zu sein scheint. Vielen sind diese Sternenhimmel ein Ärgernis. Sie sehen darin zunehmende Nachlässigkeit bezeugt. Wer ein bisschen darüber schimpft, macht sich im Handumdrehen zum Gutmenschen, während ich kaum umhinkomme, diese Galaxien abzufotografieren. Aus Faszination.
Mich beeindruckt, dass sie an allen Orten eine ähnliche Dichte aufweisen. Für mich bildet sich ein Stück Natur ab, für das sich zwar niemand sonst interessiert. Gerade deshalb kommt es mir angenehm verräterisch vor. Naturgesetze sind hier am Werk. Nicht nur, was die Beschaffenheit der Kaumasse im Verhältnis zum Untergrund angeht. Die Dichte der Flecken bildet nämlich auch die gleichmässige Verteilung von Personen im Pendlerverkehr ab, denen es nichts ausmacht, ihr Mundgut einfach wegzuwerfen, statt es ordnungsgemäss zu entsorgen.
Jeder Fleck bildet ab, wie sehr ein Passant sonst Anpassung leistet, zumal er gerade jetzt in dem Moment, da er zum Zug eilt oder von ihm kommt, sich über diese dürftige Anpassung hinwegsetzt und den Gummi einfach ausspuckt oder wegschmeisst. Die Galaxie steht, verkehrt gelesen, für eine allgemeine Anpassungsleistung, die als hoch zu veranschlagen ist, da sie in all diesen Momenten gebrochen wird, die sich nun wie Sterne über dem Boden verteilen.
Soviel spontane Bereitschaft zur Entspannung lässt hoffen.
Dennoch: Der Anpassungsstress ist somit überall gleich hoch: In Bülach genauso wie in Winterthur, ebenso in Frauenfeld und Weinfelden. Auch lässt sich die heutige Empfindlichkeit in Sachen Mundgeruch von diesen sonderbaren Sternbildern ablesen, ebenso das Bedürfnis nach Lässigkeit beim Kauen. Dafür, dass Körpergerüche unter künstlichen Duftstoffen verkümmern, ergibt sich uns mit diesen Sternbildern eine neue ungeahnte Lesbarkeit der Natur.
Alles in Allem zeigen die Kaugummigalaxien, dass wir keineswegs natürlichen Verhältnissen überhoben sind.
Die Evolution verrichtet nach wie vor an uns ihr Werk. Man muss nur die Augen dafür offen haben.
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