Die Liberalisierung bedroht die Demokratie. Das Klima drückt. Der Mittelstand verpufft. Im fernen Osteuropa droht ein Krieg. In Brüssel schleifen sie weiter an der Sprache herum. Die politische Korrektheit ist keineswegs über jeden Zweifel erhaben. Unter anderem hat sie den gegenwärtigen Populismus mitverschuldet. So läufts in der Geschichte: Wichtige Anliegen werden derart übertrieben, dass eine nächste Generation damit aufräumt.
Es gibt politische Entscheide, die Missstände direkt beheben. Schlaglöcher übersähen eine Flurstrasse, also wird sie saniert. Andere Entscheide wirken im Vergleich dazu eher indirekt. Allgemein zählt politische Korrektheit dazu. Unmittelbar löst sie keine Probleme. Ihre Eingriffe stehen lediglich für etwas Besseres. Eine Politik, die nur repräsentiert, bedeutet ein Luxusgut. Wir kennen sie aus dem Barock: Der König steht für die Sonne, die Hochadeligen für die Planeten, die ihm beigeordnet sind. Das Anliegen, das dahintersteckt, ergibt sich aus einem halben Jahrhundert Religionskrieg. Es verlangt Frieden durch Ordnung. Das Sonnensystem liefert nur die zufällige Bildhaftigkeit dazu.
Politische Korrektheit repräsentiert heute Gleichberechtigung. Im Rahmen der Berufspädagogik steht auf dem Semesterplan zu einer Sitzung: «Besuch einer Berufslernenden / eines Berufslernenden.» Man wischt sich die Augen. Offensichtlich taugt politische Korrektheit wenig dazu, für faktische Gleichberechtigung vor dem Gesetz zu sorgen. Ansonst wären Klagen über unvollständige Gleichberechtigung längst verstummt.
Vor Jahren führte ich unter Mediamatikern, die in den Neunzigern geboren waren, eine Umfrage zu diesem Thema durch. Es waren acht Jungs und sieben Mädchen. Das Ergebnis hat also höchstens den Wert einer Stichprobe. Ich erbat von ihnen zwei Stellungnahmen, die freiwillig beantwortet wurden. Zum Einen sollten sie Stellung beziehen zur konkreten Gleichberechtigung der Geschlechter in der heutigen Gesellschaft, zum Anderen zu der Forderung, dass man in öffentlichen Verlautbarungen jeder Art die weibliche Wendung mitberücksichtigen soll. Der erste Punkt wurde durchwegs als wichtig bestätigt. Bei Punkt zwei kam das Unverständnis darüber zum Ausdruck, warum das Geschlecht in allen Belangen des alltäglichen Umgangs derart wichtig sein soll. Es gab junge Frauen, die sich als «Mediamatiker» vorstellten, da sie nicht verstanden, was ihr Beruf mit ihrem Geschlecht zu tun haben soll. Sie hielten es also wie in Italien, wo man Frauen in technischen Berufen ganz selbstverständlich als «tecnico» bezeichnet. Die sprachliche Repräsentation wurde als «völlig unnötig und unpraktisch» bewertet. Andere redeten von «feministischem Getue». Eine Mediamtikerin wiederum stellte die scheinbar paradoxe Frage, warum Geschlechter sprachlich getrennt würden, da sie doch gleichberechtigt sein sollten.
Bei diesen Jugendlichen hatte ich immer den Eindruck, für sie seien Geschlechterfragen längst gegessen. Der Betrieb richtete eine Ombudsstelle für Geschlechterfragen ein. Das Ergebnis: Es gab nichts zu tun. Die Kiz fanden nicht nach Geschlechtern zusammen, sondern nach Typen. Da gab es die Manga-Leute, da gab es die Rapper. Und ab und zu tauchte ein Hippie auf. Unter dem Thema Typenfrage handelten sie auch sonstige Anliegen punkto Gleichberechtigung ab, wie etwa Transsexualität oder Probleme der Migration.
Auch diese Generation wird ihre Themen finden. Und sie wird bestürzt verbuchen müssen, so wie wir jetzt, dass junge Leute in einigen Jahrzehnten damit nichts anzufangen wissen.
Jede Generation wird irgendwann altershalber zur Gestaltung der Gesellschaft abberufen, jede verordnet Lösungen für Probleme, die sie zur Genüge kennt.
Aber keine von ihnen kann andere Generationen in die Pflicht nehmen, die noch kommen werden.
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