Die Debatte um Corona und Impfung kann Ehen entzweien. Selbst dann, wenn Jahrzehnte gemeinsamen Weges zurückliegen. Liebe in Zeiten von Corona verlangt selbst in intimer Zweisamkeit einen Respekt, der auch sonst schwerfällt.
Sie und er schlafen nun getrennt, da sie, obzwar geimpft, an ihrem Arbeitsplatz von steigenden Fallzahlen umzingelt wird. Seit Langem könnte sie Träger sein und ihren Mann anstecken, der noch keine Impfung zugelassen hat, und zwar aus Angst. Das wird öffentlich verurteilt, aus triftigem Grund, wie man weiss. Aber es gibt Menschen, die panische Angst einerseits vor Corona ausstehen, andererseits vor der Impfung. Für beides hat der Mann triftige Gründe anzuführen. Immer wieder zwingt ihn seine empfindliche Verfassung durch Migräne, Herzrasen, hoher Blutdruck, Erschöpfung, dass er kürzertritt. Der lebensfrohe Mann hat diese Bedingungen nie gewählt. Was die Impfung anbetritfft, so hat seine Mutter gleich nach Verimpfung einen Herzinfarkt erlitten. Corona hatte sie problemlos bestanden. Nun führt sie seit dem Doppelpieks ihr Leben matt durch die Tage. Dazu kommen schwierige Meldungen aus der nahen Verwandtschaft infolge Impfung: Gürtelrose, Herzmuskelentzündung. Der Mann selbst kassierte früher bei Impfungen genau die Nebenwirkungen, die für vernachlässigbar galten. Warum sollte es diesmal anders sein? Das sind Erfahrungen und Gedanken, die in privatem Austausch greifbar sind. In der Öffentlichkeit finden sie nur widerwillig Gehör. Wenn es aber der Fall ist, dass wir an einer gross angelegten Studie teilnehmen, damit Wirtschaft und Gesundheitswesen überleben, sollte man schwierige Impfverläufe gewissenhaft verbuchen. Ich nehme an, dass das hinter den Kulissen sehr wohl geschieht.
Es sind handfeste, intime Erfahrungen, die dem Mann keine Politik schönredet.
Das Dilemma erfordert Stärke. Für beide. Immer wieder sieht sie sich versucht, dem Reiz nachzugeben, ihrem Mann die Schuld an dieser Situation aufzubürden. Dabei hat er diese Rechnung längst selbst durchkalkuliert. Täglich, wenn nicht stündlich hadert er mit seiner Schuld, und das erhöht die Belastung zusätzlich, sodass es geboten ist, einen derart gestressten Körper weder Corona noch der Impfung auszusetzen.
Liebe in Trennung erfordert Phantasie. Stattdessen beschliessen sie, auf das Wenige aus Abstand, das ihnen bleibt, mehr Acht zu geben: Stimme, Verhalten, Kleidung, Schmuck, die Mimik.
Abends und nachts träumen sie sich so über den Abstand hinweg. In eine Zeit, da dies vorbei sein wird.
Ein anderes Paar entzweit sich, er verweigert die intime Nähe zur Geimpften, der Nanoteilchen wegen, die angeblich alldurchdringend sind und so ohne Zustimmung der Massen für Herdenimmunität sorgen sollen. Freilich hat er Rechenschaft abzugeben, wenigstens vor sich selbst, warum er so genannten Verschwörungsansichten blind vertraut und öffentliche Verlautbarungen als lügenhafte Beeinflussung zurückweist. Diese Rechtfertigung gilt auch für die Frau, warum sie so brav und nicht minder blind der Öffentlichkeit Glauben schenkt. Wenn in einer Partnerschaft die Meinungen derart auseinandergehen, ist diese Rechtfertigung vor dem Anderen unbedingt zu erbringen. In diesem Streit wird Unverständnis laut. Es kommt zu Beleidigungen, die wie so oft in erster Linie dazu dienen, diese Sache einfach loszuwerden. Gefordert ist, einmal mehr, Respekt. Hier nun in der Ehe. In intimer Zweisamkeit.
Respekt in der Liebe.
Und Respekt, so Richard Sennett, ist dann erbracht, wenn ich am Anderen nicht einfach nur dulde, was ich an ihm nicht verstehe.
Sondern es anerkenne.
Kommentar verfassen