Schüler aller Herkunft verkriechen sich kleinlaut, wenn man sie beim Spicken ertappt. Auch Schweizer, wohlgemerkt. Ein junger Türke jedoch, der sich sogar frühzeitig Zugang zu Unterlagen verschaffte, legte nach Entlarvung seiner Untat einen bissigen Stolz zutage. Ein freundlicher Bursche verwandelte sich im Nu in einen osmanischen Krieger. Ich war begeistert ob diesem untypischen Verhalten. Wie vermutet gibt es Gründe dafür.

Dieser Schüler hat mich einmal zu einem Ramasan-Gebet mit anschliessender Feier eingeladen. Diese Begegnung ist mir in bester Erinnerung geblieben. Die Abläufe schienen mir dem Leben angeschmiegt, während mir christliche Bräuche, wie Tischgebete, aufrecht hinter dem Stuhl abgehalten, auf einmal kantig vorkamen und eher lebensfremd. Nicht so bei jenen Sunniten, die ich besuchte. Die Schuhe waren auf der Vortreppe zum Gebetsraum wild durcheinandergemischt. Es gab Filzpantoffeln für solche, die an Schweissfüssen litten, denn das kann vorkommen im Leben, etwa wenn man gerade von der Arbeit kommt. Einer rülpste beim Gebet, daran nahm niemand Anstoss, schliesslich kann auch das im Leben passieren. Beim Essen schaute eine Frau mit Kopftuch zur Tür herein und gab einen Witz zum Besten, der unter den Männern für Gelächter sorgte. Der Imam war noch am Essen, als die Ersten den Segen erbaten, um aufzustehen, er liess Messer und Gabel fallen, wandte sich aus dem Sitzen heraus um, mit vor Fett glänzenden Lippen und die Papierserviette noch am Kinn, mit den Armen rudernd sprach er den Segen, und wandte sich wieder seinem Essen zu.

Ein erster Unterschied liegt darin, dass junge Türken, sofern sie betrügen, nicht nur sich selbst, sondern ihrem Familienverbund Vorteile verschaffen. Das ist in jedem Fall ein redliches Vorgehen, zumal sich unmöglich behaupten lässt, Türken wären inmitten Europa wirklich willkommen. Eine hohe Erwartung liegt auf ihren Schultern. Der Betrug hilft der Familie und schädigt eine Kultur, mit der die Nachfahren Osmans eine Rechnung offen haben. Insbesondere mit England. Der Junge sichert seiner Familie einen Ankerplatz in der Fremde, die eigentlich keine Türken haben will, indem er das Diplom erschleicht, das zu erlangen er schon sprachlich und kulturell im Nachteil war. So etwas nennt sich Heldentat. Dafür gibt es wenig Verständnis, zumal es der Familie jederzeit offenstände, in ihr Heimatland zurückzukehren, statt die Jugend derart unter Druck zu setzen, dass sie krumme Wege nimmt. Doch zu Hause in der Türkei herrschen Spannungen, die das Land zu zerreissen drohen. Zwischen Modernisten und Traditionalisten. Die staatliche Führung sucht Sicherheit bei der Wurzel, die Moderne ist noch zu dünn angewachsen. Unter Umständen drohen bei einer Rückkehr ins Heimatland ernste Probleme. Natürlich kann ich das alles nicht wissen.

Aber es ist denkbar.

Vielleicht lohnt es sich, diesen Stolz zu verstehen, wenn man sich über die Rolle Klarheit verschafft, die die Türkei, sprich das Osmanische Reich bei der Herausbildung der so genannten Moderne europäischen Typs gespielt hat. Dieser Einfluss lässt sich leicht unterschätzen. Man könnte sagen, die Türkei hielt Europa über Jahrhunderte in Atem. Amerika wäre wohl geraume Zeit unentdeckt geblieben, hätte das Osmanische Reich den europäischen Handel mit Indien nicht blockiert. Die Renaissance, insbesondere der Bau des Petersdoms, der die Dimensionen sprengte, versteht sich auch als symbolische Aufrüstung gegen den Ausdehnungsdrang der Türken in Richtung Europa. Ein Gegengewicht, das die Wucht einer Hagia Sophia ausgleichen soll. Ein Gegenrüsten, wie es seit dem Kalten Krieg gut bekannt ist. Politik durch und durch, von Religion keine Spur. Die ganze Epoche ruft: Seht her, wozu wir in der Lage sind, und errechnet daraus die Wahrscheinlichkeit, wie wir mit euch verfahren werden, solltet ihr uns weiterhin bedrängen. Es sind Reserven genug da. Karl V. scheiterte an Vielem, unter anderem am Vorstoss der Türken. Ungewollt hielten sie ihn davon ab, die Reformation wirksam zu bekämpfen.

Und zuletzt das Hörnchen, Croissant oder Gipfeli. Dieses eingerollte und gebogene Gebäck bedeutet eigentlich eine Beleidigung der geschlagenen Türken vor Wien, indem es den islamischen Halbmond nachahmt, der in drei Bissen verzehrt wird.

Man merke: Erst vor Wien wurden sie gestoppt.

Grund genug jedenfalls für einen jungen Türken, trotz allem Stolz zu zeigen.