Parteigezänk mischt sich verhängnisvoll in die Corona-Politik. Liberale befürchten, die Sozialen würden den Notstand zur Durchsetzung ihrer Programme nutzen. Umgekehrt haben Liberale keine Antwort darauf, wie man eine Krise dieser Tragweite eben liberal, sprich auf der Grundlage von Freiwilligkeit bewältigen soll.

Genau besehen kommt mir Parteipolitik zunehmend grossmäulig vor. Das klingt wenig sachlich, das verlangt nach Argumenten. Es gibt Konservative, die Verhältnisse bewahren oder wiederherstellen wollen. Es gibt Progressive, deren Anliegen darin besteht, die Dinge zu ändern. Es gibt die Liberalen, die dafür einstehen, dass wir, auch wenn das widersprüchlich klingen mag, das Leben im Sinne der Wirtschaftsfreiheit regeln. Ihnen stehen die Sozialen gegenüber, die Umverteilung befürworten und damit den Staat stärken.

Sie alle verfolgen handfeste Interessen. Sie alle nehmen ein Anliegen ernst, das sie nicht gewählt haben. Ein wichtiger Punkt zum gegenseitigen Verständnis.

Das Leben hat ihnen ihr Anliegen gleichsam zugewiesen. Denn jedes Anliegen, ob es uns passt oder nicht, hat mit der Welt zu tun, in der wir alle leben.

Niemand verhält sich grossmäulig, wenn er für ein bestimmtes Anliegen politisiert. Geht es allerdings darum, dass wir in die Zukunft blicken und Verhältnisse voraussehen, die auf dem Reissbrett wunderbar aufgehen, dann fängt diese Grossmäuligkeit an. Besonders dann, wenn man das gegnerische Konzept als untauglich für die Zukunft abkanzelt.

Politiker benehmen sich wie Propheten. Dabei sind sie Spieler mit der Bereitschaft zu hohem Einsatz.

Sie gamblen mit ihren Voten.

Geschieht dies oder das, so warnen sie seltsam abgeklärt, dann passiert notwendig das oder dies. Längerfristig tritt überdies Zustand Soundso ein, den niemand wollen kann. Keine Ahnung, woher diese Selbstgewissheit stammt. Noch hat kein Mensch in die Zukunft geblickt. Wir spinnen Bekanntes fort, das seltsam bereinigt ist. Meistens sind es Lehrmeinungen, die man so lernt. Mangels an handfester Erfahrung, wie sie etwa Nachkriegspolitiker prägte, behelfen wir uns mit Theorien. Wer nachträglich richtig lag, darf sich überlegen fühlen, aber er hat es nicht besser gewusst, sondern richtig vermutet. Da besteht ein feiner Unterschied, der im Umgang unter Menschen zu würdigen wäre. Vielleicht verdankt sich das Eintreten seiner Vorhersage bestimmten Einflüssen, die er gar nicht mitberechnet hat. Vielleicht lautet die Antwort für diese beachtliche Risikobereitschaft beschämend einfach:

Parteipolitiker sehen sich gezwungen, hohe Risiken einzugehen, wenn sie Verhältnisse voraussagen, da sie ihrer Wählerschaft verpflichtet sind.

Dieser Umstand spricht für die direkte und gegen die indirekte Demokratie. Denn diese besteht in der Regel nur aus Parteigezänk. Ausser zu dem Zeitpunkt, da das Volk die Mandate ausmarcht. Die indirekte Demokratie, die Helmut Schmidt zu meinem Bedauern gegen die direkte verteidigte, lebt immer noch davon, dass eine besonders gebildete Minderheit die Dinge für alle richten soll. Dabei hat sich herausgestellt, dass Profis genauso Fehler begehen wie Laien. Statistisch gesehen fällt der Unterschied jedenfalls nicht ins Gewicht. Profis laufen überdies Gefahr, dass sie sich in einer Lehrmeinung wie in einem Tunnel verkriechen.

Und da wir die Zukunft mit ihren Überraschungen niemals vorweg durchschauen, sollen sich sämtliche Stimmen mit ihren Anliegen an der Politik beteiligen.

Dann wird das Risiko auf alle verteilt. So braucht niemand mehr sein Maul aufreissen.