Zwei Klicks im Netz, und schon fiebern die Drüsen. Das stellt eine Liebesbeziehung hart auf die Probe. Untreue als Argument gegen den Pornokonsum ist mir zu bieder. Mir schwebt eine weiter gefasste Begründung vor, warum Liebe diesem leicht verfügbaren Genuss vorzuziehen wäre.

Ältere Leute schütteln den Kopf, dass jemand überhaupt auf die Idee kommt, auch in ehelichen Verhältnissen diesem Gelüst zu frönen. Sie mögen sich auf ihre moralische Erhabenheit Einiges einbilden. Zu bedenken ist, dass sie nie einer vergleichbaren Herausforderung ausgesetzt waren.

Bei Pornos wechselt das Begehren nach Belieben seinen Gegenstand. Man kann ganze Menschentypen durchklicken. Gerade im Amateurbereich bietet sich eine enorme Vielfalt: Rothaarige, Farbige, Asiatische, Füllige, Magere, Jugendliche, Personen reifen Alters. So wird die Lust von Augenblick zu Augenblick immer neu entfacht. Auch diverse Praktiken und Vorlieben lassen sich so durchtesten. Vielleicht beschert dieser Wechsel im Sekundentakt bei Männern das Gefühl, sie verteilten ihren Samen in der Evolution mit königlichem Schwung. Das wäre von Natur aus so vorgesehen. Und vielleicht hat ein Typus wie Don Juan mehr natürliche Zwänge an sich, als sich vermuten lässt. Aber wie immer, wenn Leute unverhohlen zu sich selbst stehen, wie es sich für diese literarische Figur gehört, verkennen wir ihre Souveränität als eigen und begehren sie entsprechend oder verurteilen sie. Aber dass sie in ihrem Selbstbewusstsein vielleicht nur Zwängen nachgibt, könnte erhellend sein. Biologen bestätigen jedenfalls diese naturbedingte Tendenz zur Untreue. Eine Gewissenlosigkeit, von der Frauen keineswegs ausgenommen sind. Denn paaren sie sich mit mehreren Partnern, ernten sie den Vorteil, dass mehr Väter bereitstehen, die sich um das Junge kümmern.

Mag sein, dass Männer in Pornos die natürliche Lust zur Fruchtbarkeit so geniessen, dass sie von keiner persönlichen Eigenart beeinträchtigt wird. Der Reiz des Unpersönlichen lässt sich geradezu zelebrieren. Das kennen wir von Clubs her, wo man in Schweiss und Rausch versinkt. Beim indischen Holi-Fest wird gefeiert, dass Personen, die vereinzelt geboren sind, sich untereinander und zum Ganzen hin entgrenzen, indem sie sich mit Farben besprühen. Das sind so genannt dionysische Feiern. Ein asiatischer Gott, der Grenzen verwischt. Im Gegensatz zum griechischen Apollo, der Grenzen und damit Ordnungen sorgsam hütet. Ordnungen wie zum Beispiel eheliche Treueverhältnisse. Sie sind deshalb von besonderer Wichtigkeit, da Eifersucht und Intrigen den Zusammenhalt einer Gruppe gefährden. Es soll allen verbindlich klar sein, wer zusammengehört und wer noch zu haben ist. Alle Gäste einer Hochzeit sind Trauzeugen. Beide religiösen Strömungen, das Apollinische wie das Dionysische sind geschichtlich ernst zu nehmen. Und beide Geschlechter sprechen darauf an. Euripides zufolge bestand die erste Gefolgschaft des Dionysos aus Frauen. Und sie zerrissen den König, der den neuen Gott verfolgte, berauscht in der Annahme, es handle sich um einen gefährlichen Löwen. Das Leben ist darin allgemein, dass es seine Formen zwischen Lust und Schmerz seine Wege gehen lässt. Aber diese Einzellebewesen, in die sich das Leben individuiert, empfinden Lust und Schmerz ungleich. Die zahllosen Abweichungen kreisen um eine Norm, bei der eigentlich niemand in der Lage ist, sie verbindlich aufzuzeigen, auch wenn es alle von ihrer Warte sogleich und jederzeit tun. Eigentlich ein übergriffiges Verhalten, das sich hingegen intim ökonomisch wie von selbst erklärt. Denn wer eine Norm festlegt, hat keine Kräfte übrig, sich eingehend mit Abweichungen zu beschäftigen. Die Person sollte merken, dass die Abweichungen ihr um so lästiger fallen, je strikter sie eine Norm festlegt. Aber dann verliert sie vielleicht die Übersicht.

Die Individuation zu Einzelpersonen mit bestimmten Eigenarten bedeutet eine notwendige Abweichung von der Norm. Ebenso bedeutet sie immer wieder Einsamkeit. Das lässt sich kaum vermeiden. Menschen sind auf einer Suche. Nicht alle, aber manche. Entweder suchen sie nach dem, was sie als Einzige verkörpern unter Menschen, da sie darüber einer besonderen Klarheit bedürfen.

Oder sie sehnen sich nach Erlösung von ihrer Eigenart.

Oder nach Erlösung von der Eigenart eines Partners.

Vielleicht wird diese Sehnsucht im allgemein Natürlichen gestillt, das in Pornos roh und unmittelbar ausgelebt wird. Das Eigenartige wird auch dadurch verdeckt, dass Pornos gleichgeschaltet sind. Sie bilden einen Kanon oberflächlicher Verhaltensweisen aus, ähnlich dem Kodex an Höfen, hinter denen das Eigenartige versteckt bleibt. So zum Beispiel, wenn die Darsteller die Schaufelzähne über die Unterlippe ziehen oder sich selbst oder ihren Partnern auf den Hintern schlagen, als müsste man sie wie Esel antreiben. Auch die Abfolge der Techniken wirkt sogar reglementiert: Sie leckt ihn, er leckt sie, er nimmt sie von vorn, dann von hinten, dann kommt er in ihr Gesicht. Ohne Pausen. Das ist eher Sport oder Zirkus. Im Gegensatz zum so genannten Blümchensex, bei dem die Kameras abgestellt sind, vergleichen sich Pornos mit Hochgebirgskletterei.

Wer sich seiner Eigenart unsicher ist, erachtet diese Auflösung als Bedrohung. Hingegen wer schon immer zu viel an sich selbst gelitten hat, meistens indem andere ihn verurteilten, begehrt womöglich das Unpersönliche in der Natur. Leider ergibt sich dieses Unpersönliche nur im Wechsel der Eigenarten. Wie eben mittels Zappen durch Pornokanäle.

Das Leben jedenfalls tritt immer und überall individuiert auf. Eben als persönliche Abweichung von einer allgemeinen Norm.

Und das spricht für Liebe und gegen Porno.

Denn Liebe bedeutet, dass ich jemanden seiner persönlichen Eigenart wegen begehre. Und das lässt sich gerade auf niemanden sonst übertragen. Daher schliessen Porno und Liebe einander aus. Man verstehe recht, ich rede nicht von der Ehe, sondern von Liebe. Die Ehe gehört der Gruppe. Sie steht im Dienst gemeinsamen Überlebens. Das hat mit Liebe nichts zu tun.

Marcel Proust war es ohne Bedeutung, ob Sex vor der Eheschliessung erlaubt sein soll oder nicht.

Aber er verurteilte ganz entschieden den Sex vor der Liebe.