Wir halten uns für zivilisiert. Eine Fehlüberzeugung, wie mir scheint. Zum Lachen. Oder zum Weinen? Im Zuge der Coronakrise legte ein Banker anlässlich eines Meetings im Netz genüsslich Hand an sich selbst.
Das hatte seine sofortige Entlassung zur Folge. Ein unzivilisiertes Benehmen, das sofort abgestraft gehört. Dabei liegt der Grund für die Entlassung weniger bei dem triebhaften Verhalten, als vielmehr darin, dass der Banker seine Sorgfaltspflicht verletzt hat. Und das allein ist unverzeihlich, schliesslich wird ihm fremdes Vermögen anvertraut. Sorgfalt als Eigenschaft der verantwortlichen Person sollte grundsätzlich gewährleistet sein. Eben auch während eines Online-Meetings. Sorgfalt als Haltung. Daher auch die peinliche Fürsorge bei Rasur und Fingernägel. Unter anderem.
Zivilisiertheit eben. In der Regel meinen wir damit alles, was die natürlichen Triebe abdämpft, sie zum Verstummen bringt, oder sie so beherrscht, dass sie unter nur entsprechenden Umständen ihre Abfuhr bekommen. Doch solange Herren und Damen einer Bank Schulterpolster tragen, sehe ich auch hier rohe Natur am Werk. Warum kleben sie sich keine Gesichtsschwülste an, wie sie die Leittiere unter Orang Utans auszeichnen? Warum kein üppiger Federschmuck ins Haar? Wie gewisse Fischarten könnten sie die weit geöffneten Münder aneinanderhalten, um zu ermessen, welche Schnauze mehr Fassungsvermögen hat.
Schulterpolster geben den Beleg dafür, dass wir uns Zivilisierte noch immer von tierischen Signalen leiten lassen. Das Gleiche gilt für die Krawatte. Wir tragen sie als idealtypisches Signal unserer Zivilisiertheit. Dabei ist sie ursprünglich ein Rotzlappen für Soldaten, gleichzeitig ein Kälteschutz am Hals. Und man darf annehmen, dass das Tuch direkte Stiche auf die Schlagader abfederte. Soldaten markieren Zivilisiertheit, indem sie in Reih und Glied marschieren. Wie bekannt weicht ihr streng gesittetes Kasernenverhalten im Kampf sogleich roher Bestialität. Wie etwa jener Soldat, der bei der Erstbegegnung auf dem Feld sein ganzes Magazin auf einen einzelnen Gegner abfeuerte.
Und neuerdings häufen sich Berufe vornehmlich im mittleren Kader, die bei ihren Amtsträgern den peinlichen Argwohn wecken, ihre Tätigkeit sei zwar gut bezahlt, aber eigentlich überflüssig. David Graeber zufolge liegt das daran, dass die vielen Manager Gefolgsleute benötigen, um ihre zweifelhafte Unentbehrlichkeit hervorzuheben. Diese Leute geben Formulare aus, schieben sie hin und her. Ein schlichter Unsinn, der sich beim Staat genauso wie in der Privatwirtschaft zeigen lässt.
Manager benehmen sich wie Leittiere mit Gefolge. Dabei gibt es gar keine Futtergründe mehr zu sichern.
Auch Cicero, der Emporkömmling, hatte militärische Erfolge verbucht, irgendwo in der Türkei. Seine Gefolgsleute behielt er bei sich, obwohl sie nichts mehr zu tun hatten. Wo immer er mit ihnen auftauchte, forderte er sein Recht auf einen Triumphzug ein.
Ohne Erfolg. Glaube ich.
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