Es kommt vor, dass gewisse Dinge, die uns zusetzen, einfach nicht aus dieser Welt zu schaffen sind. Zum Beispiel Red Bull, das als Unternehmen unbeliebt ist. Bei allem Verständnis für unseren Ärger wäre dieser Wunsch, nämlich dass etwas verschwindet, in seiner Art eigentlich faschistisch: Am besten so lange draufhauen, bis es zu Nichts verpufft. Wenn man diesen verfemten Sachverhalt jedoch aus der Einheit des Lebens begreift, klärt sich manches an ihm, das unsere Ansicht verändern könnte. Hier eine erste  Fingerübung. Eben am Beispiel Red Bull:

Red Bull als Unternehmen benimmt sich abweisend, mit einem Anhauch von Sekte, sonderbar anonym die Firmenzentrale, kein Namenszug, kein Logo. Die Sicherheitsleute rigid, die Wachhunde angespannt. Extremsportler sind für Red Bull in den Tod gesprungen, als sie ans Limit gingen. Und darüber hinaus. Dazu verweigert die Firma jeden Kommentar. Die eingebunkerte Zentrale wirkt wie ein heimliches Schuldbekenntnis dazu. Wozu genau? Bei aller Asymphathie, oder gerade ihretwegen suche ich, eine Verteidigung für Red Bull hinzubekommen. Wie gesagt aus der Einheit alles Lebendigen heraus. Das hat zur Folge, dass ich verschiedene Schauplätze erörtere, wo man ans Limit geht und darüber hinaus, ohne dass deswegen jene Kritik aufkäme, von der sich Red Bull abschirmt.

Zuerst: Der Kitzel absurder Rekorde begeistert alljährlich ein weltweites Publikum. Die längsten Fingernägel, die meisttätowierte Haut, der tollkühnste Ritt auf Fahrzeugen. Die Leute kommen auf Ideen, deren Umsetzung sie gleichfalls das Leben kostet. Auch da kommt es also zu Todesfällen, doch keiner würde die Redaktion dieses Almanachs namens Guinness deswegen angreifen. Es sind die Geldbeträge, die Red Bull anrüchig machen. Aber auch dieses Moralin schmeckt mir wenig, wenn man die Machenschaften dieses Konzerns beklagt. Allerdings ohne dass ich libertär wäre. Das Unternehmen gilt für gerissen. Es vermarktet zunächst einen Namen und kein Produkt zum Verbrauch, das ist alles ausgelagert. Vermutet wird eine langfristige Strategie mit Welterfolg. Sicherlich spielen auch Zufälle eine Rolle.

So wie die Stunts mit tödlichem Ausgang.

Wer besser trickst als andere, soll seine Millionen einstreichen dürfen.

Ans Limit gehen und darüber hinaus, das hat auch etwas kindlich Natürliches an sich. Kinder suchen andauernd den Wettbewerb. Wer kommt weiter, wer höher, schneller. Einmal klappte ich die Deckentür eines Estrichs herunter, zog an der gefederten Leiter, stieg hoch, blickte umher. Und wie ich herunterstieg, kletterten die Kinder, die sich unten versammelt hatten, alle an mir vorbei, als würden sie von einem Magneten nach oben gezogen. Ich rief, sie sollten unten bleiben, aber das überhörten sie. Die kleine Herde forderte Klarheit ein, wie es um die Möglichkeiten ihrer Spielräume bestellt ist. Zusammen überschritten sie eine Grenze, genauer ein Verbot, und gelangten so unters Dach.

Das Leben besetzt die Sphären, in die es neu gerät, indem es sogleich an ihre Ränder vorstösst und sie ausmisst. Gegebenenfalls kommt es zur Überschreitung.

Das deckt sich mit meiner Erfahrung im Minecraft, als ich den Felsen zu einer Caverne durchschlug, die vorprogrammiert war und von Lava zum Teil erleuchtet. Sofort durchmass ich sämtliche finsteren Winkel wie eine Motte oder Fliege und setzte überall Fackeln, bis der gesamte Spielraum ausgeleuchtet war. Auch Tiere und Pflanzen loten ihre Bereiche aus. Auch sie gehen Risiken ein, wenn sie die Sphäre entgrenzen, in der sie beheimatet sind. Flussdelphine laufen Gefahr zu stranden, wenn sie, auf der Seite liegend, aus dem Wasser in den Ufersand schiessen und Beutefische vor sich hertreiben, die aus der tödlichen Enge heraus in ihr Maul springen. Auch Orkas riskieren, am Strand zu verenden, wenn sie junge Seelöwen zu erwischen suchen, die in der Brandung planschen.

Ans Limit gehen und darüber hinaus. Was mir weiter auffällt: Die ganze Menschheitsgeschichte erzählt sich anhand einer Unzahl solcher Grenzüberschreitungen. Seit je. Geschichten voller Triumph, aber auch voller Irrwege, Unfällen, Katastrophen aller Art.

Die Menschheit muss wissen, zu was sie in der Lage ist.

Was immer herausgefunden wird, es unterhält uns zunächst als Rekord, macht ungemein Eindruck, bleibt aber sonst ohne Folgen. In bestimmten Fällen jedoch trägt es zum allgemeinen Vorankommen bei. Vielleicht lassen sich die Erfahrungen und Kenntnisse, die Basejumper sammeln, irgendwann irgendwo sonst verwerten, einbauen, nachvollziehen. Technische Einsichten ebenso wie mentale. Der Pianist Lang Lang denkt beim Spielen gerne an die Kapriolen eines Torhüter Oliver Kahn. Warum sollte er beim Abspielen seiner verflochtenen Kaskaden von Akkorden nicht an einen Basejumper wie Ueli Gegenschatz denken, der sich für Red Bull in Oerlikon Hüfte und Schädel zerschlug? So liefe der Pianist im Konzert zu Höchstform auf. Angenommen ein Unternehmer im Publikum begeistert sich derart dafür, dass es ihm das Herz ins Hirn pumpt. Beseelt, nein inspiriert springt er auf und geht dahin und fängt an, Berge zu versetzen. Eine Reihe von Entgrenzungen bringt die kulturelle Evolution voran. Das gilt auch für die Fehler, die passieren.

Ans Limit und darüber hinaus: Auch normale Sportler leben von diesem Geschäft. Hierbei fällt auf, dass sie ihre Leistung nicht für sich persönlich erbringen, sondern für die Nation, die sie fördert. Die Völker sollen zeigen, was sie können. Je mehr solcher Pfundskerle, die ans Limit gehen und darüber hinaus, in ihren Reihen gedeihen, desto eher beeindruckt das Land seine Nachbarn, damit sie es sich zweimal überlegen, sollten sie, aus welchen Gründen auch immer, einmal der Überzeugung sein, dieses Land bedrängen zu müssen. Auch in der Verteidigung werden diese Pfundskerle über sich hinauswachsen.

Das Stichwort Krieg spinnt den Faden weiter: Kriege leben sozusagen davon, dass Grenzüberschreitungen passieren. Man stelle sich eine Verteidigung vor, die es sich leistet, beim Töten gehemmt zu sein. Die Limits fallen auch in technischer Hinsicht. Diese Erfolgsgeschichte erzählt sich vom Rücklader bis zur Atombombe. Auch wirtschaftlich gesehen passieren im Kriegsfall Entgrenzungen von Möglichkeiten: Die Kassen einer Privatwirtschaft füllen sich, sofern die Katastrophe im Ausland geschieht. Beim Aufbau danach lässt sie sich staatlich melken, schliesslich braucht sie Strassen und solide Verträge und ein verlässliches Finanzwesen. Ausserdem war der Staat ihr bester Kunde. Punkto Bewaffnung zum Beispiel.

Die Verteidigung von Red Bull lässt sich in etwa wie folgt auf einen Nenner bringen: Wenn schon alle Natur und alle Geschichte anadauernd gegen Limits vorstösst und sie überschreitet, setzt diese sonderbare Firma diesen Weg einfach fort, was immer sich dabei ergibt. Ein völlig gewöhnliches Vorgehen somit, auch wenn nichts dabei herauskommen sollte. Vielleicht ist das einfach ein natürlicher Prozess, ein Wachstum oder sonstiges Geschehen im Hypersuperorganismus Leben, der in wachsenden Pfützen den Planeten umspannt. Feinst vernetzt, auch kulturell, als bildeten wir ein oberirdisches Myzel.

Überall entgrenzen wir Limits jenseits von Gut und Böse. Die meisten nicken wir ab.

Die Menschheit nimmt seit je den Tod in Kauf, um voranzukommen. Es sind Myzelgeschehnisse, die Aufstieg und Zerfall bewirken, ein Atem, ein Pulsieren. Auch sind sie Wirbel in Bewusstseinsschichten.

So gewinnen wir neue Spielräume. Für uns auf jeden Fall. Aber nicht nur.

Auch für das Leben.

Und womöglich in erster Linie dafür.