Zwischen Religion und Wissenschaft besteht eine Kluft, die nicht sein muss, wenn man beides als Gangarten des Lebens erachtet.
Religiös empfindliche Leute stören sich am harten Materialismus der Wissenschaft. Umgekehrt befürchten Wissenschaftler, die Religion könnte irgendwann ein Schlupfloch zu ihrer Rückkunft finden. Dann ginge der faule Zauber wieder los, der gerne zu blosser Willkür verleitet. So ihre Meinung. Wenn wir Religion und Wissenschaft harmonisieren wollen, müssen wir eine Einheit finden, die sie widerspruchsfrei aufnimmt. Halten wir Gott und seine Schöpfung für diese Einheit, verharren wir in der Sichtweise der Religion. Umgekehrt könnten wir dafür den Zufall bemühen, der alles Kosmische durchwirkt und somit alles bestimmt, was uns betrifft. Das wäre auch nur die radikalste Ansicht auf wissenschaftlicher Grundlage.
Beides lässt einen unbefriedigt zurück. Mich zumindest.
Gehen wir allerdings davon aus, dass das Leben sich so entwickelt, wie es bisher geschehen ist, damit es diesen Planeten irgendwann verlässt, dann spielen Religion und Wissenschaft nacheinander, aber auch zeitgleich ihre ganz bestimmte Rolle auf dem Weg des Lebens hin zu seiner Abdrift von der Erde.
Menschen überleben nur in Gruppen. Religion ist eine eigentypische Art menschlichen Lebens, wie man ein Gemeinwesen zusammenhält. Eine Art Klebstoff des Lebens. Daher ist Religion eher mit Politik verwandt, mit Wissenschaft eigentlich kaum. Diese politische Aufgabe von Religion veranlasst manche dazu, im Kirchenbetrieb eine bösartige Manipulation finsterer Machthaber zu sehen, die nur Eigennutz im Sinn haben. Aus ihren Kritiken, die sie beharrlich und gefühlsbetont vorbringen, sprechen Wunden, die der Kirchenbetrieb ihnen schlug. Das bedeutet nicht, sie würden unsachlich argumentieren.
Unterschiedliche Betroffenheit macht auf unterschiedliche Zusammenhänge aufmerksam.
Die Natürlichkeit von Religion liegt darin, dass man eine grosse Erzählung nutzt, die von einer kosmischen Ordnung handelt, in der alle ihren Platz zugewiesen bekommen. Diese Erzählungen entstehen auf ungewisse Art. Wahrscheinlich liegt es an einer vertrackten Mischung aus rätselhaften Vorkommnissen und menschlicher Phantasie. Sicher aber wäre es verfehlt, Erzählungen dieser Art für willkürliche Erfindungen zu halten.
Ob die grosse Erzählung einer Religion stimmt, ist nicht von Belang.
Daher verwenden wir die Ausdrücke Religion und Glaube beinahe gleichbedeutend. Der Glaube an die jungfräuliche Geburt etwa benötigt keine juristische Wahrheit. Entscheidend ist, was mit jemandem geschieht, wenn er daran glaubt. Erfahrungen, die tief in die Vergangenheit geschichtet sind, bestätigen wiederholt: Wer an ein vergleichbar zartes Wunder glaubt, nimmt eher Rücksicht auf andere. In jeder Kultur spielt diese Erfahrung eine wesentliche Rolle, auch ohne jungfräuliche Geburt. Überall geht es darum, dass die Persönlichkeit sich verfeinern soll, damit sie sich sozial verhält.
Deshalb bedeutet Religion eine Art Politik.
Religionen geben einer Lebensform Orientierung, die mit einem natürlichen Überschuss an Intelligenz klarzukommen hat, damit sie nicht andauernd ihren Instinkten ausgeliefert bleibt. Allerdings besteht eine Eigenart dieser Orientierung darin, dass sie nur dann die Menschen zu entlasten in der Lage ist, die mehr begreifen von der Welt, als zum blossen Überleben nötig wäre, wenn sie wie Sternbilder unverändert bleibt. Das gilt ganz besonders für ihre Regelwerke. Und zu diesen Regeln zählt unter anderem die Hemmung, in die göttliche Schöpfung einzugreifen. Wenn es allerdings der Fall sein soll, dass das Leben die Erde verlässt, dann geht das nicht ohne Technik. Genauer nicht ohne tiefgreifenden Eingriff in die Natur. Sie wird unter Beobachtung gestellt und zerteilt, was man Analyse nennt, bis ihre Elemente sortiert sind, sodass man sie anders zusammensetzen kann. Eben künstlich in unserer Wahrnehmung. Also synthetisch.
Damit dieser notwendige Schritt gelingt, braucht es eine radikale Abkehr von Religion und ihren Regelwerken. Man könnte diesen Moment den Vollzug einer Antithese nennen, der viel Leid unter Menschen verantwortet. Der Riss zwischen Religion und Wissenschaft durchzieht Familien, ganze Generationen, er entzweit noch heute die Gemüter und verstärkt danach ihr Engagement für ihre Sache und gegen die feindliche Position. Der Mensch braucht keine Orientierung mehr, wie die Religion sie ihm gab, wenn er die Technik so weit hochzüchtet, dass sie eine planetarische Abdrift zumindest erwarten lässt.
Das heisst keineswegs, dass er niemals mehr Orientierung benötigte.
Die ihm helfen wird, dass er seinen schäumenden Überschuss an Denkvermögen in eine kosmische Ordnung eingefügt sieht.
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