Kunst hat politisch zu sein. Dieses Dogma gilt unumstösslich seit dem 1. Weltkrieg. Ai Weiwei kritisiert China mit seiner Kunst. Dem habe ich nur schon deshalb mit Achtung zu begegnen, da ich auf keinen Fall ohne Grundrechte leben könnte. Dennoch bemühe ich mich um ein Verständnis dieses Volksgiganten. Hierarchien, die von oben nach unten befehlen, halten wir für überholt. Dennoch tauchen sie immer wieder auf. Wie stellen wir uns dazu?
Vorerst ein Blick in die Natur: In Tiergruppen bilden sich genau dann Hierarchien aus, wenn Knappheit herrscht. Wird das Revier kleiner, etwa durch fremde Horden, die es zunehmend in Anspruch nehmen, verringern sich die Futtergründe. Die Stärkeren bilden die Führungsschicht, die Schwächeren haben ihnen Folge zu leisten. Wer seinen Platz verlässt, wird dahin zurückgebissen. Auch auf die schwächeren Tiere sind alle angewiesen, wenn es gilt, die Feinde zahlenmässig zu beeindrucken, notfalls sie einzukreisen, ihre Jungen aufzugreifen und zu zerreissen. Umgekehrt werden Schwächere verjagt, wenn sie sich heimlich paaren. Auch bilden sie eine Art Unterschicht, die notfalls geopfert wird. Entweder überlässt man sie feindlichen Horden, oder sie verhungern als Erste. In Japan überwintert eine bestimmte Affenart in Gewässern, die vulkanisch beheizt sind. Das ist niedlich anzusehen. Dabei handelt es sich um das Ergebnis einer Hackordnung. Denn rund um solche Teiche harren Schwächere in der Kälte aus. Ihnen wird die wohlige Wärme strikt verwehrt. Die meisten von ihnen erfrieren.
Für das Leben an sich ist das kein Problem. Die Stärkeren allein garantieren seinen Fortbestand. Und die Schwächeren gehen als Nahrung in anderen Lebensformen auf, wenn sie zur Beute werden oder nach dem Hungertod verwesen.
Rücksicht auf Schwächere gibt es höchstens dann, wenn die Futtergründe gesichert sind. Wir Menschen halten uns über dieses unerbittliche Naturgesetz erhaben. In der Not verhalten wir uns jedoch genau gleich. Die Forderung, Menschenrechte gälten für alle, setzt voraus, dass die Versorgung in jeder Hinsicht reibungslos vonstattengeht.
Dass kaum Druck herrscht, weder von innen, noch von aussen.
Hierarchien verweisen somit auf eine Notsituation. Das Mitspracherecht ist deshalb ausser Kraft gesetzt, damit die Befehle sich rasch durchsetzen. Das zeigt sich am Betrieb einer Armee idealtypisch. Auch eine Feuerwehr kann keine weitschweifenden Debatten zulassen, wie vorzugehen sei. Die Hierarchie der Befehlsgewalt sorgt für unmittelbare Wirksamkeit der Massnahmen. Bei Hierarchien lenkt eine Minderheit die Mehrheit. Genau das Gegenteil einer Demokratie. Dabei zeigt sich wiederum, dass eine Demokratie, bei der die Mehrheit sich durchsetzt, nur dann nachhaltig greift, wenn Versorgung und Sicherheit gewährleistet sind. Die Schweiz hat jedoch trotz Armut frühzeitig demokratische Verhältnisse ausgebildet, wenn auch auf Diktat der Franzosen hin. Vielleicht bedingt die Demokratie auch eine gewisse Kleinräumigkeit, damit ihre trägen Beschlüsse so rasch als möglich Wirkung zeigen.
Eine Hierarchie bedeutet eine Zentralisierung, die in der Natur sowie in der Geschichte der Menschheit immer wieder vorkommt. Hierarchien gibt es auch kulturübergreifend. Wir scheuen uns, den Vergleich mit natürlichen Hackordnungen zu ziehen. Bei uns Menschen verhalte es sich eben anders, heisst es. Zu bedenken ist, dass die gleiche Natur uns mit genau den Eigenschaften hervorgebracht hat, die für uns Menschen eben typisch sind. Wir haben sie uns nicht selbst gegeben. Ich meine, daher müssen wir diesen Vergleich ziehen. Es ist ja nicht so, dass das, was bei diesem Vergleich herauskommt, für immer das letzte Wort hätte.
Wir sollten diesen Vergleich ziehen, sozusagen aus therapeutischen Gründen. Das adressiert sich besonders an jene Personen, die Opfer von Hierarchien geworden sind.
Wie eben Ai Weiwei.
Noch einmal: Ihm gilt mein Respekt. Er lebte in Gefangenschaft unter Dauerbeobachtung, wenn er ass, wenn er duschte, wenn er seine Notdurft verrichtete. Dennoch hatte er Mitleid mit den Beamten, die zu dieser Pflicht genötigt waren.
Und er nahm diese erbärmliche Situation als Herausforderung an.
Der Vergleich, den ich hier unternehme, bleibt vorderhand schablonenhaft. Auch ist es gewiss, dass Fachleute, die sich mit China auskennen, eher die Stirn runzeln. Trotzdem: Welcher Druck lastet auf China? Von innen: Das Milliardenvolk hat vor Jahrtausenden chaotische Zustände erlebt. Die Rede ist von der Zeit der streitenden Reiche. Daraus sind Konfuzius, Lao Tse und andere hervorgegangen. Ihr Denken hängt wesentlich damit zusammen, wie man sich verhält, damit kein politisches Chaos ausbricht. Indien ist trotz eines Milliardenbestands an Bürgern demokratisch. Fraglich aber ist, ob diese Vorzüge das massige Landvolk überhaupt erreichen oder die Krüppel, die auf der Strasse ihr Karma ableisten.
Heute kommt der Druck eindeutig von aussen: China teilt mit Nordkorea das Los als letzter Hort des Kommunismus. Genauer muss man China Staatskapitalismus zuschreiben. Die Partei hat Gorbatschows Perestroika studiert und unter Vermeidung seiner Fehler umgesetzt. Korea wie China sind beinhart hierarchisch geordnet. Wie damals in der DDR wird es den Bürgern erschwert bis verunmöglicht, das Land zu verlassen. Sie sind Gefangene ihrer Heimat. Ein Staat, der Bürger verliert, geht ein.
Der Westen hat sich an den Grosseinkäufer China gewöhnt. Daher hat er nicht nur seine Budgets aufgestockt, sondern auch Schulden bei China gemacht. Das führt zu einer schleichenden Abhängigkeit von diesem Volksapparat, der manchem sauer aufstösst. Das bringt auf Ideen, zum Beispiel dass man am besten diesen gigantischen Gläubiger auf Biegen und Brechen in die Knie zwingen möchte. Dann wären auch die Schulden gestrichen.
Auch das gehört zum Aussendruck, der auf China lastet. Druck von innen, Druck von aussen. Da wird man leicht paranoid.
Und Paranoia ist keine Krankheit, sondern eine Art Nervosität, die im Sekundentakt rational vorgeht.
So folgt Befehl auf Befehl. Ungehindert und hochwirksam.
Dank der Hierarchie.
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