Es liegt auf der Hand, dass wir in besonderen Fällen anwendungsbezogene Beratung suchen: Wie pflege ich naturgerecht meinen Garten? Wie backt man ohne Hefe? Wie aber steht es um Lebensberatung? Nicht erst seit der Pandemie häufen sich Angebote aller Art, die vorgeben, einen solch umfassenden Anspruch zu erfüllen. Zweifel sind da allemal angebracht.
Wer eine wundersame Wende in seinem Leben hinbekommen hat, fühlt sich oft beseelt, andere damit zu beglücken. Eine Güte, die man nicht missachten darf. Zwischen einer überwältigenden Erfahrung und ihrer Missionierung liegt jedoch häufig bloss ein kleiner Schritt. Wenn diese Person nun einem Kunden ihre Lage darlegt, indem sie erklärt, bei ihr verhielt es sich so und so, dann vermittelt sie eine bestimmte Theorie über ihren Fall. Genauer handelt es sich um eine Deutung, da selten ein Beweis vorliegt, dass nun genau dieses oder jenes Mittel zu dieser wundersamen Wende geführt hat. Und ein Beweis, das heisst immer, dass andere Personen den gleichen Sachverhalt ganz von ihrer Warte aus bestätigen. Sie zeigen darauf und sagen: Ja, du hast dein Alkoholproblem bezwungen, da du eine Pilgerfahrt unternommen hast. Zu einer solchen Bestätigung ist niemand in der Lage. Oder eben nur bei sich selbst. Gewisse Zusammenhänge sind für uns selbst immer offensichtlich: Meine Lage stand auf Rot, ich setzte jenes Mittel ein, nun steht sie auf Grün.
Doch was erlaubt es mir, dieses Mittel anderen anzuraten? Wie komme ich zu der Gewissheit, mein Weg sei geeignet für alle?
Es mag sein, dass andere nach meiner zufälligen Beratung auch zu diesem Glück fanden. Aus solchen Fällen schöpfen Berater ihre Gewissheit. Sie veröffentlichen dann deren Selbstzeugnisse als Bestätigung dafür, dass ihr Vorgehen Sinn macht.
Man weiss dann aber nicht, wie viele Misserfolge schon vorweg von der Liste gestrichen sind.
Berater meinen dann, bei dem oder derjenigen sei die Sache leider nicht aufgegangen, aber das lag an Gründen ausserhalb der Methode. So schwächen sie Misserfolge ab. Dabei müsste man einfach zum Schluss kommen, dass die Methode eben nicht bei allen greift.
Das wäre doch nur natürlich.
Der Anspruch, ein Vorgehen soll unter allen Umständen zum Erfolg führen, ist hoch gegriffen. Vielleicht lebt darin der urtümliche Wunsch nach Zauberkraft fort, die unbeschränkt wirken soll.
Auf Knopfdruck sozusagen.
Genau genommen entspricht dieser Wunsch nebenbei dem Anspruch der Wissenschaft. Denn sie anerkennt nur Sachverhalte, die unter allen Umständen zum selben Ergebnis führen.
Im Übrigen, wer eignet sich überhaupt als Fachkraft für Lebensberatung? Freilich alle, die leben.
Lebensberatung kommt meist dann an ihre Grenzen, wenn es um Tiefsitzendes wie Schuld und Reue geht. Die Weisheit des Ratgebers endet oft bei der Einsicht, der Kunde müsse eben loslassen. Lass los! Wenn das eine Lebensberatung sein soll, kommen mir erhebliche Zweifel. Die Situation wäre in etwa diese: Stelle dir vor, jemand hängt über einem Sprungtuch und wir rufen: Lass los!
Die Person weiss das ja selbst sehr genau. Und eben genau das kann sie nicht. Oder erst bei einem Zerreisspunkt, den sie noch nicht kennt. Der Ratschlag nützt also nichts. Er müsste heissen:
Lerne zu sterben!
Das wäre die Lebensberatung schlechthin. Dafür jedoch gibt es ganz gewiss keine Fachleute.
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