Ein Skigebiet in den Alpen. Man verabredet sich zum Apéro am «Fuxägufer». Ein Sessellift mit Freiluftbar. Wie wir so dastehen, während ein Techno wummert, bin ich auf einmal ergriffen davon, wie drastisch die Welt der Bergleute von damals, die diesen Namen prägten, von unserer Gegenwart abweicht. Nur der Name ist geblieben. Er prangt in modischem Design über dem Eingang zum Lift.

Seit Jahren brettert man über die Pisten. Erlesener Dress, Sonnenschutz, Rückenpanzer. So schweift man auch über den «Twärchamm» zum «Zigerboden» hinüber, wo ein Pacardi-Zelt aufgestellt ist. Ein paar Kinder einer Schulklasse verpassen den «Chuebofler», wo sie der Pistenrettungsdienst unterweisen soll. Interessant, wie Araber oder Holländer diese Namen aussprechen. Die Skier abgeschnallt, ein Glühwein in Händen, so reissen wir Sprüche am Laufmeter.

Irgendwann fällt mir ein alter Bekannter ein, der war erst im Aussendienst einer Versicherung tätig, dann warf er alles hin. Seine Ehe, seine Karriere. Eines Abends trank er mit Absicht genau den Weisswein, der ihn ausfällig machte. Schliesslich landete er mit Blaulicht in der Psychiatrie. Dort spielte er Karten mit Insassen. Oberhalb Flums stellt er seither Ziegenkäse her. Ein Mannsbild zum Fotografieren. Mit weissem Bart, mit Sennenkutte. Schon damals hatte er betont, auch in der Schweiz seien Indianer ausgestorben. Er meinte einfache Bergler. Alpleute mit ihren Familien. Vor Jahren schlugen wir auf einer Wanderung unterhalb Rigi-Kulm unsere Zelte auf. Wir brutzelten frisch gekaufte Lammkoteletts auf offenem Feuer. Ein Älpler kam vorbei mit seinem Maultier, blieb stehen und deutete auf das Fleisch. Er sagte:

«Essen tun s wie Fürschten. Wie im Hotel.»

Das machte uns verlegen. Der Mann ass wohl seit Jahren Kartoffeln und Teigwaren. Gelegentlich kam etwas Schinken oder Speck dazu und ergänzte das Gericht zur so genannten Magerone. Heute geben sie im «Gauderloch» oder auf dem «Schilt» oben, wo Sessellift und Gondelbahn zugleich hochführen, täglich Hamburger aus. Mit Rotwein und Nachtisch, wenn’ s beliebt. Nicht auszudenken, welche Mühsal, welches Leid, welche grundstürzenden Erfahrungen in diesen alten Namen stecken. Wieviel Hoffnung, wieviel Rückschläge: Wetter, Krankheiten, Unfälle, harte Arbeit. Das Muttervieh verendet an einer Steinfrucht. Wölfe reissen Ziegen. Keine Impfung, kein Schmerzmittel, keine Motorisierung. Wir haben keinen Begriff von Entbehrungen, die vergleichbar wären.

Ein Hirt aus dem Alpstein meinte: «Der Berg wird dir viel Leid zufügen. Irgendwann wirst du ihn lieben.»

Also kann man zu einer Natur, die uns hart zusetzt, gleichwohl eine Bindung aufbauen. Davon haben wir nun wirklich keine Ahnung.