Zum Glück bin ich kein Chef-Typ. Denn Chefs sind zu bedauern. Sie schultern Verantwortung, verlieren Freunde und vereinsamen. Nun hat eine ETH-Studie überdies ermittelt, dass der Erfolg eines Unternehmens kaum von der Führungskunst seiner Chefs abhängt. Grund genug, den Bettel hinzuschmeissen. Und es kommt noch dicker.

Meine Unfähigkeit, vielleicht auch meine verdeckte Weigerung, als Chef zu führen, hat schon manche Person, die mir näher steht, befremdet, ja sogar entmutigt. Immerhin einmal habe ich das Angebot zu einem Führungsmandat abgelehnt. Was ich gelegentlich bereute. Jetzt nicht mehr.

Die Gründe, die die Chefsache in ihrer Wirkungsmächtigkeit schmälern, bestätigen mich nachträglich. Einzig dem Mannschaftstrainer wird laut dieser Studie unmittelbarer Einfluss bescheinigt, wenn er die Spieler während der Pause in der Kabine zusammenbrüllt. Sonst sieht es schlecht aus, was die Chefsache angeht. Das Top-Management ist Kopfsache. Es geht um Analysen, um Planung. Strategie und Taktik als Rüstzeug verraten seine Herkunft aus dem Kriegshandwerk. Kalkül und Wille, sonst nichts. Keine Rücksichtnahme auf kulturelle Empfindlichkeiten, noch auf nationale Eigenarten. Die Corona-Krise hat im Stadium Impfbeschaffung jedoch gezeigt, dass diese Unabhängigkeit im Kopf des Chefs eine Illusion darstellt. Die NZZ hat darüber berichtet, in einem Leitartikel, aber ich weiss nicht mehr, wann: Demnach sind die Entscheide von Chefs sehr wohl von der Kultur und der Tradition bestimmt, der sie angehören: Seiner bürokratischen Genauigkeit wegen verhielt sich Deutschland unter Merkel vorbildhaft im Lockdown. Aus dem gleichen Grund geriet diese Vorsichtskultur allerdings ins Hintertreffen bei der Impfbeschaffung. Im liberalen England bekam umgekehrt ein Boris Johnson das Chaos beim Lockdown kaum in den Griff. Hingegen brillierte dieser kreative Liberalismus dank lascher Bürokratie bei der Verimpfung der Bürger. Israel übertrumpft dort alle. Immerhin ein Land mit höchsten Fallzahlen. Laut NZZ liegt dieser Erfolg auch an der jüdischen Tradition, dass man, wenn es eng wird, im richtigen Moment Risiken eingeht. So kaufte die Administration Netanjahu bei Pfizer ein, ohne dass die Sicherheit des Impfmittels hinreichend belegt gewesen wäre. Das Ganze hätte auch ins Auge gehen können.

Chefs mögen diese Abhängigkeit an sich selbst verkennen. Sie betonen, sie fühlten sich frei im Kopf. Das mag sein. Dennoch müssen ihre Entscheide im engsten Umfeld auf Zustimmung stossen. Auch lauert überall eine Öffentlichkeit, der klarerweise diese kulturelle Prägung anhaftet.

Keine Chefperson ist in der Lage, Öffentlichkeit und engstes Umfeld nach Gutdünken umzustimmen. Das musste auch Bonaparte einsehen. Als Inbegriff des Chef-Typs schlechthin.

Noch gibt es Chefs, die gewiss sind, sie kontrollierten ihre Belegschaft. Ihnen entgeht, so Luhmann, dass diese Leute das Gleiche tun. Nämlich sie unterwatchen ihre Chefs, wie er schreibt. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass dies ebenso auf Diener und ihre Herrschaften zutrifft. Bestimmt gibt es allerhand Zeugnisse von Bediensteten, die ihre Vorgesetzten managten, ohne dass die es merkten.

Google hat längst verstanden, dass es in seinen Betrieben keine Teppichetagen geben darf. Stattdessen steigen die Chefs regelmässig am Marketing vorbei zu den Technikern hinunter, die an der Front herumtüfteln, und lassen sich von ihnen beraten. Eigentlich müsste diese Praxis längst Schule gemacht haben, aber sie hat sich trotz des bombastischen Erfolgs von Google kaum durchgesetzt. Zu verlockend ist wohl die Figur des Chefs, der da kommt, und sieht und gewinnt.

Es müsste heissen: Ich kam, und ich sah, aber es gab Empfindlichkeiten.

Und ich wurde unterwacht.