Ein Mädchen schäumt vor Wut wie sonst nie, als man die Kleine aus den rosafarbenen Plastikschuhen hebt, die nicht ihr gehören. Dieses Verhalten nehmen viele als Bestätigung dafür, dass Mädchen natürlicherweise auf Rosa ansprechen. Das ändert nichts daran, dass diese Farbe früher für Männer bestimmt war.
Vieles, das heute selbstverständlich gilt, hat sich sehr oft in sein blankes Gegenteil verkehrt. Im Aufdecken solch grundstürzender Kippmomente liegt für mich ein Reiz, sich mit Vergangenem zu beschäftigen. So etwa bei der Geschichte der Farbe Rosa. Der eigentliche Kipppunkt liegt anderswo, nämlich in der Geschichte von Blau als Männerfarbe. Denn die traditionelle Farbe für Weiblichkeit im christlichen Abendland war seit je das Blau der Gottesmutter. Die ersten Latzhosen aus Jeans für Arbeiter in Fabriken führten zu diesem grundstürzenden Wechsel, sodass diese marianische Couleur die Seite wechselte.
Dort verdrängte sie Rosa als Farbe des Mannes. Sie kreuzten sich sozusagen in ihrer Bedeutung.
Wer rätselhaft findet, was an Rosa männlich sei, mag einen Blick auf den Stierkampf werfen. In diesem Ritual geht es um kultivierte Eleganz gegen rohe Natur. Die Farbe Rosa taucht dort sattsam auf. Besonders die Strümpfe der Matadore sind in rosa gehalten, oft auch das ganze Gewand. Weiter fällt auf, dass früher nur Adelige diese Kämpfer stellten. Also geht es um Ritterlichkeit.
Und das Grundanliegen von Ritterlichkeit dreht sich um eben dieses Problem, wie man ein kultivierter, sittlicher Mensch bleibt, obgleich man rohe Gewalt ausübt.
Diese Sorge prägte auch die Erziehung preussischer Prinzen, denn es lag auf der Hand, dass sich Preussen nur mittels Kriegen zwischen England, Frankreich und Russland als imperialen Mächten würde behaupten können. Der Matador heisst wörtlich Töter, also Mörder. Erst am Schluss, wenn sein Degen in den Nacken des Tieres geht, wendet er rohe Gewalt an. Aber selbst dieser Akt wird in einer Art Ballettschritt ausgeführt, ansonst erntet der Kämpfer das Missfallen des Publikums. Das europäische Rittertum kannte die Minne. Das heisst, der Ritter umwarb mit Poesie eine hochgestellte Dame, obwohl von Anbeginn feststand, dass er sie nie bekommen würde. Dieser Widerspruch sollte seine Kultiviertheit für all jene nachweislich garantieren, die ihm anvertraut waren. Auch das japanische Regelwerk Bushido spricht von Ritterlichkeit als Blume. Damit zeigt sich wiederholt die Spannung zwischen Sittlichkeit und roher Natur.
Wobei keine Rolle spielt, dass auch Blumen strenggenommen aus roher Natur hervorgehen.
Wie die Farbe Rosa stehen Blumen überhaupt für Zartheit, Charme und Höflichkeit. Die triebhafte Paarung wird schicklich verzögert wie der finale Degenstoss im Stierkampf. Heutige Gefängniszellen sind in Rosa ausgekleidet, damit aggressive Insassen zur Ruhe kommen. Meines Erachtens verrät diese Farbe die Spannung zwischen Natur und Kultur, wenn man sie als Mischung aus Milch und Blut begreift. Das meine ich, wie immer, im Sinne einer spielerischen These, nicht als Wahrheit, die für alle gültig wäre: Milch steht wie alles Weisse für Unschuld, das Rot bedeutet einerseits das mütterliche Blut, das bei der Geburt vergossen wird, andererseits die Gewalt, die zum Schutz dieser Unschuld anzuwenden nötig ist. So zum Beispiel der Ritter Georg, der seine Lanze im Rachen des Drachen versenkt, um Mutter und Kind vor ihm zu beschützen.
Daher ist Rosa die Farbe kultivierter Männlichkeit, die zum Schutz natürlicher Unschuld Gewalt ausübt.
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