Alle am Handy. Hier wie auf der ganzen Welt. Der Tendenz nach, versteht sich. Also nicht wirklich alle, aber die meisten. Und nicht wirklich überall, aber beinahe.

Die Haltung, die wir einnehmen, wenn wir dasitzen wie im Bus und den Blick auf den kleinen Bildschirm in Händen gerichtet halten, erinnert an Gläubige, die im Kirchengestühle in sich gekehrt beten. Andere sehen Depressive so dasitzen. Als gelehrige Schüler der Konditionslehre nehmen sie an, dass diese Haltung auch zu Schwermut führen kann, wenn man sie gehäuft einnimmt. Wie allmorgens im Bus oder nach der Arbeit. Dann müsste es aber genauso der Fall sein, dass Handynutzer früher oder später zu beten anfangen.

Kurz vor dem Hörnliberg geraten wir in ein Funkloch. Wie immer. Alle blicken hoch. Auch hier nicht wirklich alle, aber die meisten. Und sie richten sich nach vorne auf den Bildschirm, der in der Höhe neben dem Fahrer angebracht ist und Nachrichten und Unterhaltung bietet, wie Rätsel zum Knobeln für zwischendurch. Ist der Hörnliberg bezwungen, richten sich wieder alle als Betende in die vorherige Position. Oder als Depressive.

Diese Gleichschaltung im Verhalten ist doch bemerkenswert, schliesslich besteht kein Zwang dazu. Es gibt Verschwörungstheorien, die davon ausgehen, dass die Einrichtung des Konsums einzig den heimlichen Zweck erfüllt, dass er unsere Aufmerksamkeit bindet, indem eine Dauerbefriedigung geboten wird, die uns davon abhält, politische Kritik zu üben. Irgendjemand steckt dahinter, womöglich eine Gruppierung, die uns kaltstellt, ohne dass wir es merkten, damit sie ihre Interessen ungestört durchzusetzen kann. Sollte jemand diese Gleichschaltung genau so vorausberechnet und organisiert haben, wie es jetzt abläuft, dann müsste man sich zu einer weltweiten Rebellion dagegen aufgerufen fühlen. Diese Gruppierung wäre uns allen dann aber an Cleverness derart überlegen, dass ich mich ihr sofort unterwerfen würde.

Ich käme mir vor wie ein Phänotyp, der evolutionär überholt worden wäre.

Mir bliebe einzig die Möglichkeit, dass ich mich mit Anstand anpasse oder mit Anstand erlösche, wie es sich für schwächeres Leben allgemein in der Natur gehört.

Aber daran glaube ich nicht. Diese Überlegenheit kommt in Märchen vor oder in Fantasys. Nur schon die Geheimhaltung dieses gigantischen Projektes bei zigtausend Beteiligten über mehrere Generationen böte ein viel zu hohes Risiko, aufgedeckt zu werden. Nein, ich glaube an keine derartige Verschwörung.

Mir scheint, es gibt Menschen, die einen ungewissen Gegner aus dem Grund für übermächtig erklären, damit sie sich besser gegen ihn rüsten. Das wäre ein Eingeständnis der eigenen Schwäche, die sich selbst zum Training wachruft.

Wenn man hingegen bedenkt, dass in Seoul, in New York, in Buenos Aires, überall da, wo Leute im Bus oder mit der Bahn zu Arbeit fahren oder sonst wohin, das gleiche Bild vorherrscht, nämlich Menschen am Handy, die zum Bildschirm hochblicken, wenn ein Tunnel oder sonst ein Funkloch durchquert wird, dann komme ich nicht umhin, als eine kulturelle Evolution am Werk zu sehen, die niemand steuert als das Leben selbst, das uns hervorgebracht hat und uns zu bestimmten Zwecken in Dienst nimmt.

Nur für welche, das wäre die Frage.