Mein Vater, ein Endachtziger, verkündete letzthin mit viel Begeisterung, die Wissenschaft habe neuste Befunde zum Vergessen öffentlich gemacht.

Zwar plagt ihn keine ernste Vergesslichkeit, wie sie im Vorfeld etwa zu Alzheimer auftritt. Dennoch setzt sie ihm zu. Schliesslich erinnern wir uns alle an ein pudelfrisches Gedächtnis in jungen Jahren. Nun also hat man herausgefunden, wie mein Vater freudig erklärte, dass Vergessen keine Zerfallserscheinung bedeute, sondern ein aktiver Gehirnprozess sei. Das Gehirn filtert ja nicht nur Eindrücke, damit wir uns zweckmässig auf einen Sachverhalt beziehen. Auch tilgt es Erinnerungen oder erschwert ihren Abruf, wie es heisst.

Abstraktes Denken wäre ohne Vergessen erschwert. Daraus folgt, dass die ganze Mathematik als Schlüsseldiziplin der Moderne sowie Theorien aller Fachgebiete beeinträchtigt wären.

Gerade in dieser Epoche fällt die Einsicht schwer, dass auch ein Mangel ursächliche Folgen nach sich zieht, die sich für unser Leben als fruchtbar erweisen. Positivistisch wie wir sind fixieren wir uns auf einen messbar umrissenen Tatbestand, der als Ursache erst entdeckt würde. So sind es nicht nur feurige Synapsen, die unseren Verstand zum Leuchten bringen, sondern auch abgeknipste, die Erinnerungen blockieren. So stelle ich mir das vor, irgendwie.

Also feiern wir das Vergessen.

Wie es mein Vater tut.