Papst Franziskus besucht Ausschwitz. Zu Fuss und schweigend. Nach wie vor fehlt uns ein Verständnis für die Shoa. Eigentlich müsste der Papst auch deutsche Stuben und Schlafzimmer aus der Zeit unmittelbar vor der Hitlerei besuchen, denn das würde Einiges klären. Leider geht das nicht.
Damals stehen Deutsche Existenzängste aus. Über ein Jahrzehnt lang. Und keineswegs auf hohem Niveau wie wir heute. Die Kriegsschuld wird in Paris beschlossen. Nebst der tiefen Beleidigung, die wir heute nur schwerlich nachvollziehen, treiben die Reparationszahlungen ein Volk in den Ruin. Die Antwort auf die Schuldfrage wird neuerdings unterschiedlich beantwortet. Nach Christopher Clarke sind diejenigen schuld an der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, die Krieg andauernd als Möglichkeit in Rechnung gestellt und damit gedroht haben. Und das gilt für alle Beteiligten. Nach Auffassung anderer Historiker liegt die Schuld bei Deutschland, weil es als Erste eine Grenze zu einem Nachbarland überschritten hat. Diese Historiker sind interessanterweise deutschstämmig.
Die Schulderklärung 1918 ist keine Naturkatastrophe, sondern Vorsatz und Wille einer Gruppe von Politikern und Juristen. Für Schweizer wäre diese Situation schlicht unhaltbar. Geldentwertung ist die Folge. Für Lebensmittel karrt man Millionen durch die Strassen. Die Verhältnisse geraten ins Stottern, sie brechen ein. An den Bahnhöfen hängen auf einmal keine Fahrpläne mehr. Dazu kommt, dass die widersprüchliche Staatsverfassung für dauernde Unruhe sorgt. Eine radikal demokratische Basis wird mit einem absoluten Ersatzkaisertum überdeckelt. Die Organe geniessen Befugnisse, die es ihnen erlaubt, sich gegenseitig mittels Misstrauensvoten, eigenmächtigen Ernennungen und Notstandsverordnungen auszuhebeln. Das Gezerre findet kein Ende. Bis 1933 kommt es zu fünfzehnmaligem Machtwechsel auf Stufe Reichspräsidentschaft. Wer will diesem Betrieb Vertrauen schenken? Die ungewohnte Meinungsfreiheit lässt Parteien aus dem Boden schiessen. Es kommt zu Schlägereien, sogar zu Morden. Wer an das Kaisertum gewöhnt ist und, nebenbei bemerkt, an die Brutalität des Privatlebens unter Kaisers Flagge, kann ob diesem entfesselten Geplapper nur Zorn empfinden und in der Folge nur Untergangsängste.
Für manche rede ich wohl wie ein Neonazi. Mag sein. Unabhängig davon spielt die Sichtweise, die deutsche Todesängste in der Weimarer Republik berücksichtigt, bei solchen Gedenktagen keine Rolle.
Wir suchen keine Entschuldigung, wir suchen Klarheit. Es geht um eine Politik der Klarheit.
Auch in dieser Frage.
Mitten in den Zwanzigern wünschen sich die USA Deutschland als gesunden Handelspartner. Sein Siechtum soll ein Ende finden. Unter Wilson verpflichten sie die übrigen Siegermächte dazu, dass sie ihre Schulden mit deutschen Reparationszahlungen abgleichen. Dafür greifen die USA Deutschland finanziell unter die Arme. Dieser Zyklus, bekannt unter der Bezeichnung Daws-Plan, scheint widersinnig, er geht nur auf, wenn alle Beteiligten für Wertschöpfung sorgen. So geht es auf einmal allen gut. Manche stürzen sich ins wohlige Getümmel, andere jedoch, vielleicht die Besonnenen unter den Deutschen stellen besorgt fest, dass wiederum eine ausländische Minderheit ihr Geschick bestimmt. Nämlich die Administration Wilson.
Nicht sie.
Das fällt durchaus schmerzhaft ins Gewicht, auch wenn der fremde Einfluss für Wohlstand sorgt. Oder gerade weil er das tut. Denn nur wenige Jahre später wird dieses goldene Zeitalter erneut von weiter Hand jäh beendet, wiederum aus Übersee, diesmal ausgehend von der Wall-Street, die auch die Vereinigten Staaten ins Elend stürzt.
Der gemeinsame Nenner dieser Ängste: Die Deutschen haben ihre Geschicke nicht unter Kontrolle. Wären sie den Launen der Natur ausgeliefert, könnte man mehr schlecht als recht damit umgehen. Stattdessen wird ihr Schicksal von einer Minderheit im Ausland mit Plan und Vorsatz geschmiedet.
Und zwar zur Bestrafung und Disziplinierung einer Volksgemeinschaft, die als gefährlich eingestuft wird. Wer nun irgendein Germanentum bemüht, damit diese Gefährlichkeit klar wird, denkt wie sie selbst in ihrem Aufbäumen aus Todesangst, das typischerweise kein Mass kennt, indem es zu Pestiziden greift und Feinde, tatsächliche wie eingebildete als Schädlinge im Rundumschlag ausmerzt. Kein Urgermanentum bricht sich hier Bahn. Bei Deutschen handelt es sich zunächst um Menschengruppen, die seit je in sumpfigen Ebenen zersplittert leben. In wechselnden Bündnissen, ohne natürliche Schutzräume, wie Gebirge, Meere oder Ströme sie bieten. Eine drohende Mehrfrontensituation bringt diese Menschen früher in die Startlöcher als andere, lässt sie Panzer sein gegen Horden, die sie von irgendwoher überrollen.
Diese Gefährlichkeit mag ja zutreffen, doch Ängste dieser Tragweite hält niemand so lange aus. Entweder man sucht Schutz im Wahnsinn oder bäumt sich dagegen auf, indem das Volk zu einer Maschine hochgezüchtet wird.
Ein Schwede hat mir diesen Einblick beigebracht, nämlich Ingmar Bergman mit seinem Werk Das Schlangenei. Nachsicht gegenüber anderen wird in dieser Geschichte zunehmend als Infekt erachtet, als schleichende Vergiftung der Volksgemeinschaft. Wer aus Not vor verschlossenen Türen schläft, muss damit rechnen, dass man sie aufgreift und als Schmarotzer verprügelt. Jemand erzählt von einer aus Hunger aufgeschlitzten Katze mit dampfendem Herz, das noch rast. Pferde weiden sie auf offener Strasse aus. Alkohol wird zum Schlafmittel. Für ein bisschen Geld, für ein bisschen Essen geben sich die Menschen zu Untersuchungszwecken hin.
Angesichts dieser kollektiven Hilflosigkeit nimmt der Bedarf an Leuten zu, die Drecksarbeit leisten, die ihren Hals riskieren. Warum nicht ein deutschstämmiger Österreicher, der zwar redegewandt, aber verstört ist, da er selbst nur Existenzängste kennt? Er wird zum Stachel dieses geschundenen Volkskörpers, in den alles Gift der Welt gepumpt wird. So nimmt diese Jahrhundertkatastrophe ihren Lauf.
Die Lehre ist klar: Es darf nicht sein, dass eine Minderheit die Mehrheit bevormundet. Schon gar nicht über die Grenzen menschlicher Gemeinwesen hinweg. Da dürfte man sich in den Ämtern der Europäischen Union am Kopf kratzen. Auch in den USA, wo man gerne Druckmittel einsetzt, die global wirken.
Diese Lehre lässt sich deutlich aus dieser Geschichte ziehen.
Doch sie scheint bis heute wenig gehört.
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