Vor Jahren machte ich eine verrückte Erfahrung. Wir räkelten uns in Liegestühlen geschmiegt auf der Dachterrasse. Wohlnormierte Gartenmöbel, von der Stange gekauft. Wie angegossen fühlten sie sich an. Mit der Zeit jedoch kippte meine Behaglichkeit in Unwohlsein.
Denn auf einmal fühlte ich mich von dieser Sitzgelegenheit wie bevormundet.
Der Stuhl bot mir Bequemlichkeit nur im Rahmen seiner Normierung: Vier Stufen zur Verstellung der Armlehnen, ein Kissen im Nacken, das Ende der Liege unterhalb der Waden. Etwas, das sich völlig von selbst versteht, befremdete mich auf einmal. Dazu war nur für einen Augenblick ein kosmisches Bewusstsein aufzubringen. Diese jähe Entfremdung befiel mich zwar, aus welchen Gründen auch immer, aber ich suche sie oft und gerne. Denn genau das fasziniert mich:
Das Normale als sonderbar zu sehen. Eine tätige Entfremdung von der üblichen Welt macht sie anders sichtbar, anders verstehbar. Besser vielleicht. Das wäre jedenfalls zu hoffen.
Im Liegestuhl kam ich mir erst wie ein kleines Kind vor. Dann regte sich Widerstand. Nun war ich überzeugt, ich würde eigentlich nicht in diese Norm passen. Auch empfand ich meine Natur als Mensch unterfordert, bisweilen sogar behindert von dieser lächerlichen Normierung.
Wie üblich in solchen Momenten fingen die Gedanken an zu rollen: Mir fielen die Spielplätze ein, die es auf die Gesamtgeschichte der Menschheit hochgerechnet erst seit Kurzem gibt. Früher rannten Kinder ihren Eltern hinterher. Fünf tapsige Schrittchen für einen grossen. Vielleicht ein Grund, warum Kinder noch heute Gemüse verabscheuen. Damals verbrannten sie viel Fett und Kaorien. Heute tollen sie in einem Geviert herum, an deren Rändern die Erwachsenen sitzen und auf sie Acht geben. Eigentlich eine unnatürliche Situation. Spielplätze gibt es seit Beginn der Industrialisierung: Genormte Klettergerüste, genormte Rutschen, Wippen, Drehscheiben, Karrussels zum Sitzen oder Stehen, Hamsterrolle, Sandkasten. Dann all die Hüpfburgen. Die Fallhöhen sind wohl bedacht, die Regeln zum Kopieren freigegeben. Nichts Besonderes. Diese Bedenken sind unter dem Stichwort Kontinuumskonzept eingehender nachzulesen.
Überall stehen Trampolins in Gärten, mit Leiter und Sicherheitsnetz, gut gepolstert, sorgsam im Boden verankert. Durchmesser und Alter der Kinder sind genau aufeinander abgestimmt. In diesem normierten Raum ist es den Kleinen gestattet, völlig wild zu sein. Weiter kamen mir die Fitnessgeräte in den Sinn, die in neusten Wohnsiedlungen anzutreffen sind. Jahre lang hatte ich Hemmung, ein Studio zu betreten, bis ein Freund, der schon lange Mitglied war, beiläufig meinte, es nehme ihn halt wunder, was die Kraftmaschinen so mit ihm anstellten.
Ja, frage ich nun: Was stellen Normen mit uns an?
Ich erhob mich und gab meinem Liegestuhl einen Tritt. Niemand verstand mich, als ich meine Beklommenheit mitteilte. Aber man brach in Gelächter aus. Immerhin bestand eine Kollegin darauf, dass meine ungewohnte Fühligkeit durchaus berechtigt sei. Denn streng genommen gingen wir Menschen falsch auf unseren Füssen, seitdem alles eingeebnet sei. Gehsteige, Treppen, Asphalt, Plätze. Unsere Füsse wären geschaffen für Geröll und Baumstämme, Schutthalden und ganze Tobel zum Durchkämmen. Für alles Flache sind sie eigentlich ungeeignet.
Ihrer Natur entspricht die Unebenheit.
Auch von Schuhen hielt meine Kollegin nicht viel. Ich triumphierte. Am besten müssten wir wieder auf Bäumen herumklettern, rief ich.
Mal sehen, wo wir die nötigen Normen dafür herbekommen.
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