Der Volksmund ist psychoanalytisch geworden: Du verdrängst nur, heisst es. Du rationalisierst. Dies und das sind bloss Ersatzhandlungen. Freud wäre skeptisch. Wer Sucht als Ersatzhandlung abtut, übersieht, wie trickreich das Leben vorgeht. Dazu braucht es eine Sichtweise oder eine Lesart, die über Freud hinausgeht. Was keineswegs gegen ihn spricht.

Menschen begehren ozeanische Seligkeit. Das bedeutet durchwegs die Einheit mit der Welt, in der wir leben. Dieser Zustand, sofern wir ihn erlangen, fällt immer wieder aus dem Tritt. Er ist nicht von Dauer. Psychoanalytisch bedeutet dies, dass wir uns nach der Einheitserfahrung sehnen, die uns als Embryo beschieden war. Bis zur grossen Störung, der Geburt nämlich, sollte dieser Zustand ohne Beeinträchtigung angedauert haben.

Auf den Punkt gebracht sehnen wir uns zurück in die Mutter.

Aber das geht nicht. Also nehmen wir Umwege in Kauf und führen Ersatzhandlungen aus, damit wir diesen Flow in irgendeiner Form wiedererlangen. Mit allen erdenklichen Mitteln. Der Wege dahin sind viele, da die Voraussetzungen vielfältig sind. So kann jemand, der sich im Orgelspiel selig verliert, auf eine Begabung zurückgreifen, die ihm frühzeitigen Erfolg und damit den Elan bescherte, die Sache über Jahre voranzutreiben. Bis zur Meisterschaft, die ihn über ganze Meere trägt.

Süchtige wollen wieder wie Embryos sein. Nur darum geht es. Das klingt abwertend. Wie üblich, wenn es um Menschen geht, die die Ansprüche einer Hochleistungsversorgungsgesellschaft nur bedingt erfüllen. Sollte diese Ansicht zutreffen, dann muss es der Fall sein, dass wir uns in irgendeiner Form an diesen Zustand vor der Geburt erinnern. Das wird von der Wissenschaft bestätigt. Wiederum die Tiefenpsychologie geht durchwegs davon aus. Diese Erinnerung beruht demnach auf keiner persönlichen Eigenart, sondern scheint in unserer Art angelegt zu sein.

Somit wäre die Frage angebracht, ja sogar zwingend, meine ich, ob diese Erinnerung bloss eine Begleiterscheinung darstellt, die das Leben anders einzurichten oder gar zu vermeiden nicht in der Lage war, oder ob sie einen Sinn erfüllt. Die Annahme einer Funktion dieser Erinnerung gefällt mir. Ganz einfach aus dem Grund, da sie andere Denkmöglichkeiten, andere Lesarten zulässt, als wir es gewohnt sind.

Zwei Bedingungen sind gegeben, um die Funktion dieser Erinnerung zu ermitteln: Die Erinnerungsfähigkeit selbst und die unmögliche Rückkehr in die Mutter. Also bleibt uns nichts anderes, als diesen Flow sozusagen nach vorn wiederzuerlangen, inmitten von Alltag und Gesellschaft. Was unser Überleben angeht, kommen allen Dingen klarerweise eine natürliche Funktion zu, die dazu nötig sind. Da ist viel Natur im Spiel: Stoffwechsel, Fortpflanzung. Die ozeanische Seligkeit erreichen wir hingegen über viel Kultur: Sport, Freizeit, Kunstfertigkeiten aller Art, Vereinsleben, Reisen, Rituale, Spiele. Dies alles führt genauso zu Süchten, auch wenn dies ungleich auffällt. Drogen gehören dazu.

Vielleicht lassen sich Gewohnheit und Sucht nur schwer voneinander unterscheiden.

Nach Reichholf gilt die Kultivierung von Alkohol und Drogenpilzen als Grund für den Beginn unserer Sesshaftigkeit. Diese These bleibt nach dem aufwändigen Ausschluss sonstiger Argumente zur Sesshaftigkeit schlicht und einfach übrig. Die Nomaden mussten an Ort bleiben, damit beides nutzbar gedeiht und reift. Dazu kommt, dass weder Alkohol noch Psilos dem blossen Überleben dienen. Sie bedeuten Kultur.

Vielleicht hat die Natur mit uns Menschen eine Lebensform verwirklicht, die auf der Suche nach ozeanischer Seligkeit sozusagen nebenbei eine kulturelle Evolution bewerkstelligt und am Leben erhält.

Wie die Biene, die eingesüsst von der Blütenpflanze und ohne es zu merken ihre Pollen auf dem Rücken mit sich trägt.

Süchtige unterscheiden sich von uns dann nur noch darin, dass ihnen keine alternativen Wege offenstehen, um ozeanische Seligkeit zu erlangen. Aus welchen Gründen auch immer.

Bleibt nur die Frage, was das Leben mit all dieser kulturellen Evolution anfangen soll.