Immer wieder empört man sich über den Einfluss der Lügenpresse. Schlagwort Fakenews. Diese Branche manipuliere die Leute, heisst es. Wenn ich das höre, fühle ich mich jedes Mal beleidigt. Diese gängige Klage entmündigt mich als Leser.

Natürlich sind dann jeweils die Anderen gemeint, die solchen Lügen auf den Leim gehen. Die restliche Bevölkerung, über die sich eigentlich urteilen lässt, wie man will. Mein Vater grummelte öfter, Neunzig Prozent der Menschheit seien dumm. Das empörte wiederum mich, aber das war ihm herzhaft egal. Kein Argument überzeugte ihn, woher denn all die Wissenschaft käme, zu der sich mein Vater bekannte, woher die so genannt zivilisatorischen Errungenschaften. Mein Vater brachte eher ein Gefühl zum Ausdruck, das mit seinem Alltag zu tun hatte. Also auch mit mir.

Das dürfte die Sorge wegen unserer Beeinflussbarkeit mitbegründen: Alle nämlich hadern schon genügend mit ihrem Alltag, als dass sie sich eingehend mit politisch verquickten Themen auseinandersetzen könnten. Ihre Bereitschaft, das erst Beste aufzugreifen, sozusagen aus Gründen der Sparsamkeit, wäre aber schwierig als Manipulation zu lesen. Diese Ökonomie würde sogar gegen Demokratie sprechen. Daher ist es umso besser, je mehr Leute am Mehrheitsentscheid teilnehmen, denn so ist die Möglichkeit gewährleistet, dass es Mündige darunter hat, denen Zeit zur Sichtung der Argumente zur Verfügung steht. Oder die sich diese Zeit nehmen, vielleicht weil sie keine Familie haben. Und das wäre heute öfter der Fall als früher.

Wer also der Lügenpresse bösartige Beeinflussung unterstellt, misstraut zugleich der breiten Masse, indem er sie eben für beeinflussbar, sprich für unmündig halten muss. Dieses Menschenbild gefällt mir nicht. Und wie angedeutet verrät die Person, die derart empört urteilt, meines Erachtens mehr von sich selbst, als über die Gesellschaft, über die sie sich auslässt. Im Übrigen zweifle ich schon lange daran, ob die unmittelbare Manipulation der Menge durch Presse oder Werbung sich wirklich beweisen lässt. Keine Ahnung, wie man diesen ursächlichen Zusammenhang einwandfrei unter die Lupe bekommt. Ein Argwohn, den man wiederum empörend findet.

Hannah Arendt bringt das Beispiel einer Person, die das idealtypische Opfer gezielter, will sagen «vollständiger Manipulierung» darstellt [p 12]. Es ist nicht der Alltagsmensch, der die Lügenpresse im Briefkasten liegen hat, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten. Dieses Amt ist seinen Beratern deshalb ausgeliefert, weil es vom Kongress abgelöst ist, so Arendt.

Dieses Beispiel lässt sich überzeichnen. Demnach sind überhaupt politische Führer anfällig auf Manipulation, wenn sie sich von anderen Kräften ablösen und damit zu Autokraten verkommen.

Das lässt sich auf die Spitze treiben:

Manipulierbar ist, wer isoliert lebt. Oder: Manipulierbarkeit setzt Isolierung voraus.

Aber das gilt für uns Massenmenschen nicht. Ganz besonders heute nicht, da wir derart vernetzt sind, dass wir zu beliebigen Themen, so verfänglich sie auch sein mögen, die widersprüchlichsten Positionen abrufen können. Statistiken, Broschüren, Reportagen, Chatgruppen, Foren, Selbstzeugnisse, Berichte, Kommentare, Abhandlungen, Kritiken, Interviews und so fort.

Ich weiss nicht, wie jemand manipulierbar sein soll, wenn er auf diese Fülle an Informationen Zugriff hat.